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Adlige und großbürgerliche Einwanderung nach Ingelheim im 19. Jahrhundert


Autor: Hartmut Geißler
nach Henn und Köhler


Gustav Freiherr von Mengden

Gustav Johann von Mengden entstammte einem ursprünglich in Westfalen ansässigen Adelsgeschlecht, dessen einer Stamm schon im 15. Jahrhundert nach Livland auswanderte. Die Familie brachte es dort zu Reichtum und Ansehen und wurde 1653 in den schwedischen Freiherrenstand erhoben. Herr von Mengden war begütert und bekleidete bis 1815 hohe Staatsämter in seiner baltischen Heimat. Nach dem Tode seiner Ehefrau, einer in Wien verstorbenen Gräfin Medem, begann er ein unstetes Leben zu führen und wechselte häufig seine Aufenthaltsorte.

Man kennt die Gründe nicht, die ihn veranlasst haben, sich 1836 in Ingelheim niederzulassen. In unserer Gegend befasste er sich mit dem vergeblichen Projekt einer Kurhausgesellschaft in Bad Homburg, kaufte 1840 die Burgruine Klopp in Bingen, verkaufte sie aber 1853 weiter. 1849 kaufte er im historischen Gelände des Ingelheimer Saales das nördlich der Aula regia gelegenes Gebäude, das in der kurpfälzischen Zeit als Schaffnerei gedient hatte. In den folgenden Jahren erweiterte er seinen Besitz noch um einige benachbarte Parzellen. Der Mainzer Altertumsforscher August von Cohausen hat im Jahre 1850 – vielleicht auf seine Anregung hin – den Saal zum ersten Mal wissenschaftlich vermessen.

Im Jahre 1855, also nur sechs Jahre später, sah er sich allerdings genötigt, den Ingelheimer Besitz wieder zu veräußern. Die Erwerber waren Johann David von Harder und seine Frau Natalie. Mengden starb am 13. Mai 1856 im „Haus Mett“ hinter dem Rathaus, damals „Rheinstraße 298“, heute Natalie-von-Harder-Straße 1, das ihm David von Harder (s.u.) abgekauft hatte. Es gehörte seit 1856 David Johann von Harder, 1874 erwarb es Herr de Bary, zehn Jahre später der Bürgermeister Johann Baptiste Werner, der es ein Jahr danach weiterverkaufte, bis es ab 1901 Karl Mett I. erwarb, von dem es bis heute seinen Namen trägt. Nach derm Umbau des Alten Rathauses 2017/18 gehört es mit zum "Kunstforum Ingelheim".

Bei Mengden war laut Sterbeurkunde (Stadtarchiv) sein 25jähriger Diener Philipp Göttelmann aus Selzen bei Oppenheim. Mengden dürfte auf dem Nieder-Ingelheimer Friedhof bestattet worden sein, denn ein Grabstein an der Südmauer des Nieder-Ingelheimer Friedhofes erinnert an ihn mit folgender Inschrift:

Zum Andenken an Gustav Johann Freiherr von Mengden Geboren in Liefland den 9. Decemb. 1784 Gestorben den 13. Mai 1856. Innhaber der russischen Wladimir-Medaille von 1812. Offizier des Französischen Ordens der Ehrenlegion Ritter des Königlich-Sächsischen Verdienstordens. Erkennet das Gute und richtet nicht nach dem Schein.


Natalie von Harder

Aus der bürgerlichen, dann vom Zaren geadelten deutsch-jüdischen Bankiersfamilie von Ludwig Stieglitz in St. Petersburg stammend (geb. am 17.10.1805), heiratete sie um 1824 nach dem Willen ihres Vaters den königlich niederländischen Arzt und Generalkonsul in St. Petersburg, David Johann von Harder. Ihr Bruder Alexander Baron Stieglitz (1814 - 1884) war Chef der russischen Staatsbank.

Die von Harders hielten sich nach einigen Petersburger Jahren vorwiegend im Rhein-Main-Gebiet auf. Zusammen mit ihrem niederländischen Gatten kaufte sie den Besitz von Mengdens im Saal und erweiterte ihn zu einem repräsentativen Anwesen, von dem aber nichts mehr erhalten ist. Sie beteiligte sich finanziell maßgeblich an dem Bau eines Spitals und Altersheimes am Heidesheimer Straße/Ecke Stiftstraße, "Ludwigstift" genannt, das 1999 abgerissen wurde. Auch der Ober-Ingelheimer Kindergarten von 1862 geht auf eine Spende von ihr zurück.

Sie starb 1882 in Frankfurt am Main, wurde aber wie ihr Gatte auf dem Friedhof der Anstalt Illenau in Achern/Baden bestattet.

Nach ihr ist die Straße benannt, die beim Francois-Lachenal-Platz beginnt westlich und nördlich um den Saal herumführt.


Albert Gerhard de Roock

Ein zweiter wirtschaftlich sehr erfolgreicher Niederländer kaufte 1841 das große Reynier’sche Anwesen in Nieder-Ingelheim, fügte an das darin vorhandene Gebäude zwei Eckpavillons an und ließ es zu einer Villa ausbauen, die er nach seinem früheren Tätigkeitsfeld auf Java (Zuckergewinnung) "Villa Padjarakan" nannte.

Der Park um die Villa, der um 1850 von den Gebrüdern Siesmayer aus Frankfurt-Bockenheim angelegt wurde, stand den Ingelheimern als quasi-öffentlicher Park offen. Es ist der heutige Emmerlingsche Park an der Enggasse (Dr. Ernst Emmerling war ein Ururenkel von de Roock).

Albert de Roock erwarb sich durch vielfältige Förderung beider Kirchgemeinden, der Vereine und öffentlichen Einrichtungen den Dank der Nieder-Ingelheimer, die ihn 1863 zum Ehrenbürger ernannten. So gab es eine de Roock'schen Brautstiftung und eine Prämienstiftung für Schulkinder.

Er starb 1867, sein Grabmal befindet sich noch immer auf dem Nieder-Ingelheimer Friedhof im Familiengrab der Familie Emmerling.

Nach de Roock ist seit einigen Jahren eine Seitenstraße der Turnierstraße benannt.

Seine Tochter, die wiederum einen Niederländer heiratete, war Friederike Gertrude van Krieken, die noch auf Java geboren war. Auch sie stiftete erhebliche Teile ihres Vermögens (200.000 Mark) zu wohltätigen Zwecken, für das "Ludwigsstift", für eine Friedhofskapelle und für ein Waisenhaus, aus dem 1939 das neue Krankenhaus in der Turnerstraße hervorging (van Krieken’sche Stiftung).

Nach ihr ist die Gertrudenstraße benannt.


Dr. Wilhelm von Erlanger und seine Frau Caroline

Im Jahre 1859 erwarb der Frankfurter Bankier für sich und seine erst siebzehnjährige (!) Frau Caroline, geb. von Bernus, das alte Jesuitengut auf dem Belzen, die Cloßsche Stiftung, und erweiterte es durch Zukäufe bis hinab zum Rhein. Das Wohnhaus, "Villa Carolina" genannt, wurde zu einem repräsentativen Anwesen ausgebaut (es wurde1938 abgerissen).

Das Erbe der Erlangers ging 1918nan den Prinzen Alexander zu Solms-Braunfels über, dessen Frau eine Nichte von Wilhelm von Erlanger war. Seine Töchter, die Prinzessinnen Mathilde und Friederike, lebten dort bis zu ihrem Tode 1962 bzw. 1954 und verkauften das Anwesenan die Familie Boehringer.


Wilhelm von Erlanger und seine Frau wurden zu den größten Wohltätern Ingelheims: Sie veranstaltete u.a. Weihnachtsbescherungen für Ingelheimer Kinder und förderte tatkräftig mit Frau von Harder das Ludwigstift.

Ihr Gatte brachte seine juristische Erfahrung im Gemeinderat ein, dessen Mitglied er durch die Tatsache war, dass er die höchsten Grundsteuern zahlte, und finanzierte aus eigenen Mitteln Maßnahmen, die der Allgemeinheit zugute kamen.

Sein besonderes Anliegen war die Erhaltung historischer Baudenkmäler. Unter anderem veranlasste er die sachgemäße Wiederherstellung des Kirchturmes von St. Remigiusund bemühte sich um die Erhaltung der Reste der Aula regia im Saal.

Er gehörte zu den Gründungsmitgliedern des Historischen Vereines (1905) als Schatzmeister, und sie stattete den Verein mit einem Grundstock von Büchern für seine Bibliothek und von historischen Exponaten aus, und nach dem Tod ihres in Afrika forschenden Sohnes Carlo (1904) übergab sie auch Teile seines ornithologischen Nachlasses dem Historischen Verein als Grundstock für ein naturhistorisches Museum (heute im Mainzer Nat.-Hist. Museum).

 

An die Erlangers erinnern in Ingelheim außerdem die "Carolinenhöhe", die "Wilhelm-von-Erlanger-Straße", das große Familiengrab auf dem Nieder-Ingelheimer Friedhof und die "Rheinklause" ("Anglerklause") von 1893, ursprünglich ein Jagdhaus am Rhein, heute ein beliebtes Ausflugsziel im Besitz des Landessportbundes Rheinhessen und vom Angelsportverein verwaltet.

 

Von 1880 bis 1887 nahm ein weitere Niederländer seinen Wohnsitz in Ingelheim, der frühere Kolonialbeamte und Schriftsteller Eduard Douwes Dekker, der wegen eines drohenden Gerichtsprozesses aus den Niederlanden ins Rhein-Main-Gebiet geflohen war. Hier suchte er in der Wiesbadener Spielbank sein finanzielles Glück. Von einem niederländischen Gönner, der anonym bleiben wollte,bekam er das Haus auf der Ingelheimer Steig finanziert.

Hier wohnte er bis zu seinem Tode mit seiner zweiten Frau Mimi und einem Adoptivsohn Walther sehr zurückgezogen, möglichst ohne Kontakt zu den Ingelheimern und streitbar. Besucher hielt er sich mit Hunden vom Leib.

Bekannt geworden war er in den Niederlanden durch seinen kritischen Roman über die niederländische Kolonialherrschaft auf Java. Er gab ihn unter dem Pseudonym "Multatuli" (lat. "Ich habe viel ertragen") mit dem Titel "Max Havelaar" heraus.

Rechts das ehemalige Hotel "Multatuli" auf einer alten Fotografie von Frau Witzke-Paul aus BIG 36. So etwa dürfte sein Haus kurz nach seinem Tode ausgesehen haben.

Von diesem Pseudonym trug das frühere Hotel, zu dem sein Haus umgebaut wurde, den Namen "Multatuli".

Dekker wurde nicht in Ingelheim bestattet, sondern in Gotha eingeäschert, und seine Frau nahm die Urne mit zurück in die Niederlande.

 

Heinrich (von) Opel

Im Jahre 1900 ersteigerte Heinrich Opel aus der bekannten Rüsselsheimer Fabrikantenfamilie das Hofgut auf dem Westerberg als Sommersitz. Es ist bis heute im Besitz der 1917 geadelten Familie von Opel. Daneben errichtete er ein Gestüt, das gleichfalls noch existiert.

Auch die Familie von Opel betätigte sich immer wieder als Sponsor und Wohltäter Ingelheims, u.a. für die Restaurierung der Burgkirche.

 

 

Fotos: Hist. Verein sowie aus BIG 10 und 16

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Gs, erstmals 22.02.07; Stand: 16.04.21