Autor: Hartmut Geißler,
aufbauend auf einer Vorlage von Margarete Köhler
und unter Verwendung der Veröffentlichungen von Burmeister
und der Ingelheim Haderbücher
Seine Herkunft und sein Name
Sebastian Münster ist am 20. Januar 1488 in Nieder-Ingelheim geboren. Sein Familienname lautete eigentlich "Monster", wie aus allen bisher veröffentlichten Haderbucheinträgen der Familie hervorgeht. Er dürfte aus der Zugehörigkeit eines Vorfahren zu einem Kloster (lat. "monasterium") oder von der Herkunft eines Ortes mit diesem Namen entstanden sein. Zu der Namensform Münster bzw. lat. Munsterus ist er erst während lateinischen Hochschultätigkeit und in seinen Veröffentlichungen übergegangen. Auch sein Neffe Johannes ließ sich beim Studium Munsterus nennen (siehe unten). Sein Mitbruder, Lehrer und Freund Konrad Pellikan nannte ihn in einem Brief an Luther vom 16. März 1520 noch mit o "alius frater, lector theologiae, Sebastianus Monsterus ..." (ein anderer Bruder, ein Lektor der Theologie ...).
Im Haderbuch von Groß-Winternheim von 1490/1502 wird mehrfach ein Peter Monster genannt, ebenfalls ein Meck von Mönster mit dem Herkunftsort "Mönster", den die Herausgeber vermutungsweise mit Münster-(Sarmsheim) oder (Bad) Münster (am Stein) gleichsetzen.
Auch im Nieder-Ingelheimer Haderbuch von 1521/1530 taucht zweimal ein "Hans von Monster" auf, der mit dem Hans Monster, dem Bruder Sebastians, identisch zu sein scheint (Fol. Fol. 161 und 271).
Aus Ober-Ingelheim sind ein Peter Monster sowie zwei Söhne in Haderbüchern erwähnt, ein Jakob (Jeckel) - Kirchenmeister an St. Wyprecht (St. Wigbert) - und ein Peter (Peder). Ob und wie ggf. diese namensgleichen Personen mit Sebastian Monster/Münster verwandt waren, lässt sich aus den Haderbüchern nicht entnehmen. Ober-Ingelheim als Ort hat Sebastian in keine Beschreibung einbezogen, obwohl die nicht lange zuvor fertig umgebaute Kirche St. Wigbert (ab 1940 "Burgkirche") durchaus eine Erwähnung wert gewesen wäre. Wenn er "Ingelheim" schrieb (stets ohne das mittlere n), dann meinte er nur Nieder-Ingelheim und vor allem die Pfalz.
Der Schwerpunkt von Sebastians Verwandtschaft liegt nach den bisher veröffentlichten Nieder-Ingelheimer Haderbüchern (1468/1485 und 1521/1530) eindeutig in Nieder-Ingelheim, wo ihr vielfältiger Besitz im Verlauf der Prozessnotizen mehrfach erwähnt wird:
- Sebastians Großvater Peter Monster besaß dort wahrscheinlich einen nicht kleinen landwirtschaftlichen Betrieb und wird im Haderbuch von Nieder-Ingelheim (1468/1484) mehrfach als Prozessbeteiligter erwähnt, auch in seiner Tätigkeit für die "Kirche" (St. Remigius?) und das "Spital" (vor Remigius). Die Fürsorge für dieses Spital war in der Familie sozusagen erblich, denn sie erstreckte sich mindestens über 3 Generationen:
- Sebastians Vater Andreas (Endres) Monster hatte gleichfalls das angesehene Amt eines Spitalmeisters inne. Ein Spitalmeister besorgte die laufende Verwaltung, die Anlage von Kapital und sonstiger Vermögenswerte, er beaufsichtigte die Hausinsassen und sorgte für Verköstigung und Pflege. Auch hatte er sich um die Feldbestellung und die Ernte auf den Spitaläckern zu kümmern. Er wurde von den Gemeinden aus angesehenen und wohlhabenden Familien ausgewählt, in Ober-Ingelheim bisweilen sogar aus adeligen Sippen. Solche Spitäler sind nicht mit heutigen Krankenhäusern gleichzusetzen, sondern sie dienten als Gasthaus, Pilgerhaus, Armenhaus und Altersheim. Die Funkion als Krankenhaus war wohl eher untergeordnet. Geboren wurden in mittelalterlichen Spitälern nur die Kinder armer, alleinstehender Frauen; Sebastian Münster wurde als Sohn angesehener Bürger natürlich zu Hause im elterlichen Hof geboren und nicht im Armen-Spital bei der Remigiuskirche. Wo es lag, ist unbekannt. Außer Hans und Sebastian gab es noch eine Schwester.
- Ein Bruder Sebastians hieß Hans Monster und führte den Familienbetrieb weiter, denn Sebastian war als Mönch nicht erbberechtigt. Auch Hans wird in dem Haderbuch (1521/1530) mehrfach erwähnt, wieder als Spitalmeister. Zwei von Hans' Söhnen konnten auch studieren, Joseph, der Jura studierte, und Andreas, der wie sein Onkel Sebastian Theologie studierte. Beide versuchte Sebastian Münster fördern. Ein Johannes Münster als dritter Sohn von Hans Monster wurde freundlicherweise von Prof. Burmeister im Juli 2006 brieflich mitgeteilt; er schrieb dazu:
"Dieser 'Joannes Munsterus Ingelhaimensis' wurde im Sommer 1542 an der Universität Frankfurt/Oder immatrikuliert, und zwar gratis, wohl mit Rücksicht auf seinen einflussreichen Bruder Joseph Münster. Johannes Münster, aber machte wohl keine akademische Karriere, jedenfalls weiß man nichts darüber. Möglicherweise lebte er als Bauer in Ingelheim und der Besuch in Frankfurt/Oder diente gar nicht dem Studium, sondern nur einem Besuch bei seinem Bruder. Für ihn war es sicher ein schönes Erlebnis, so wie sein Onkel Sebastian und wie seine gelehrten Brüder Andreas und Joseph in eine Universitätsmatrikel eingetragen zu werden und damit akademische Bürgerrechte erlangt zu haben."
- Name und Familie der Mutter sind nicht bekannt. Sebastian erwähnt sie nie.
Aus der Tatsache, dass Hans 1525 in einem Erbschaftsprozess als Vertreter seiner Familie auftrat, kann man schließen, dass damals der Vater Endres (und auch die Mutter?) schon gestorben waren. Vielleicht war das der Grund, dass Sebastian nach seiner Kindheit nie mehr in Ingelheim war.
Mit diesem Bruder Hans ist Sebastian im selben Jahre 1525 zusammengetroffen, vielleicht wegen dieses Erbschaftsstreits. 22 Jahre später sahen sich die Brüder 1547 anlässlich eines Besuchs von Hans in Basel wieder. Münster berichtet in einem Brief davon.
Das bäuerliche, aber keineswegs ärmliche Milieu, in dem Münster aufgewachsen ist, hat ihn geprägt. Sein offenbar aus praktischer Erfahrung erwachsenes Interesse an Landwirtschaft und Weinbau lässt sich durch viele einschlägige Zitate aus der Cosmographie belegen. Außerdem erfahren wir durch einen Brief an seinen Lehrer und Freund Pellikan, dass er auf seinem Basler Grundstück erfolgreich Garten- und Weinbau betrieb.
Anscheinend wurde er (als Nachgeborener?) frühzeitig für eine geistliches und gelehrtes Leben ausersehen. Denn als er Ingelheim verließ, hatte er schon eine Elementarausbildung genossen und sein Wissensstand entsprach bereits dem Trivium (Lateinunterricht in Grammatik, Logik und Rhetorik, d.h. die Abfassung von Briefen, Urkunden und die mündliche Disputation - alles in Latein!). Und in dieser gelehrten Welt angekommen, schien es ihm offenbar besser, seinen Namen nicht Monsterus, sondern Munsterus zu latinisieren. Denn im Lateinischen heißt "monstrum" Ungeheuer, woraus unser heutiges "Monster" abgeleitet wurde.
Burmeister hält es für möglich, dass er von dem geistlichen Herrn Nikolaus Wassermann von Reinhausen, der von 1585 bis 1503 als Lateinschulmeister in Ober-Ingelheim wirkte, unterrichtet worden ist. Schreckenfuchs spricht von einem Lehrer, dessen Namen er allerdings nicht nennt. Andreas Saalwächter (BIG 9, 1958, S. 24) vermutete als Lehrer Sebastian Münsters einen Pfarrer von Nieder-Ingelheim, den gelehrten Wiegand "Pistor" (= Bäcker), 1488-1518 Pfarrer zu Nieder-Ingelheim mit dem Magistergrad, und seinen Bruder, der Altarist am Heilig-Geist-Hospital war.
Mehrfach dürfte er in Mainz gewesen sein, denn er verfügt eine gute Kenntnis dieser Stadt. In einem Brief nennt er Mainz sogar seine Vaterstadt. Vielleicht hat ihn schon hier die Buchdruckerkunst zu faszinieren begonnen, die später sein Leben maßgeblich mitbestimmt hat. Es fällt auf, dass er sowohl in der Cosmographie als auch in seiner Bibelausgabe gut über die römischen Altertümer von Mainz Bescheid weiß. Umso erstaunlicher ist freilich seine nur fragmentarische Geschichte von Mainz in der Cosmographie, Ausg. 1550, S. 593
Links: Der sog. Eichelstein in Mainz, wahrscheinlich der Rest eines Denkmals für den römischen Feldherrn Drusus. Aus: Cosmographia 1550, S. 593
Konkret ist für das Jahr 1501 ein Besuch Münsters in Mainz bezeugt. Die dort von ihm (mit 13 Jahren) gesehenen siamesischen Zwillinge finden Erwähnung in der Cosmographie S. 625.
Wenn Münster auch nach seiner Ingelheimer Jugend für immer in der Fremde blieb, so spielten doch sein Geburtsort und die engere Heimat für ihn eine besondere Rolle. Auf seiner Mittelrheinkarte ist Ingelheim deutlich sichtbar vermerkt, und sowohl in der Cosmographie als auch in der Germaniae descriptio wird es ausführlich und liebevoll beschrieben. In den verschiedenen Ausgaben der Cosmographie sind seiner Heimatstadt Holzschnitte zugeordnet, in denen erkennbar Münsters Ortskenntnisse verwertet sind. Er zählt "Ingelheim" sogar zu den Reichsstädten. Seine Verbundenheit mit der alten Heimat bekundet Sebastian Münster auch dadurch, dass er sich selbst als Basler Bürger noch immer als S. Munsterus Ingelheimensis (oder Ingelhemius) bezeichnet. Links: Standbild Münsters von Karlheinz Oswald (1988) vor der Remigiuskirche, Ingelheim, etwas oberhalb der Stelle des mittelalterlichen Spitals. Dort wurde sein Denkmal errichtet, weil man nicht weiß, wo sein elterlicher Hof stand, teilweise wohl auch in der irrigen Annahme, dass er im dortigen Spital geboren sei.
Gs, erstmals: 26.07.06; Stand: 24.11.23