Autorin: Margarete Köhler
mit Korerekturen und Ergänzungen von Hartmut Geißler
Da es von Cloß ein persönliches Anliegen war, dem kirchlichen Leben in den verarmten katholischen Gemeinden wieder zu neuer Blüte zu verhelfen, stellte er den Jesuiten der Oberrheinischen Provinz sein in der heutigen Belzerstraße gelegenes Landgut zur Gründung einer Missionsstation zur Verfügung.
Bei Saalwächter (S. 9) lesen wir: "Mittelpunkt des von Herrn von Cloß zusammengekauften Landgutes waren fünf Hofraiten auf dem „Bölsen“ wovon drei als „verfallen“ bezeichnet werden, eine wahrscheinlich der alte Deutschordenshof war. Aus diesem Gebäudekomplex und den dazugehörigen Gärten ist der spätere Hof der Jesuitenmission ... entstanden."
Am 25. Oktober 1737 vermachte von Cloß dieses Anwesen und mehrere Schuldtitel den Jesuiten, die er bereits einige Monate zuvor durch entsprechende Besitzabtretung begünstigt hatte. Er wollte einerseits den Fortbestand der Mission über seinen Tod hinaus materiell absichern und andererseits die Begünstigten zur Erfüllung bestimmter Stiftungsaufgaben verpflichten. Das Vermächtnis war u. a. mit der Auflage verknüpft, täglich Geld- und Brotspenden an Bedürftige zu verteilen und die Seelsorge in Frei-Weinheim wahrzunehmen. Mit seiner Stiftung handelte der seinem Kurfürsten treu ergebene Offizier ganz in dessen Sinne. Carl Philipp kooperierte innenpolitisch nämlich eng mit dem Jesuitenorden.
Anton Otto von Cloß konnte nicht ahnen, dass die von ihm verfügte jesuitische Verwaltung seiner Ingelheimer Stiftung schon 36 Jahre nach seinem Tod in Frage gestellt und 45 Jahre danach völlig zum Erliegen kommen würde. Während der Regierungszeit Carl Theodors löste 1773 Papst Clemens XIV. nämlich den Jesuitenorden auf. Er tat diesen Schritt nicht aus eigenem Antrieb, sondern gab dem von einigen Landesherren und dem französischen König ausgehenden politischen Druck nach.
Die sofortige konsequente Umsetzung des päpstlichen Breve hätte für die Kurpfalz den Zusammenbruch zahlreicher Bildungs-, Seelsorge- und Sozialeinrichtungen bedeutet. Carl Theodor fügte sich deshalb nur formal dieser Anordnung. Statt die Jesuiten zu verjagen, wie es z. B. der französische König tat, beließ er sie als Weltpriester in ihren seitherigen Ämtern als Professoren, Lehrer, Seelsorger und Verwalter. So kam es, dass Pater Roeder in der ehemaligen Jesuitenmission auf dem Belzen weiterhin Aufgaben im Sinne des Stifters Anton Otto von Cloß erfüllen konnte.
So reibungslos vollzog sich die Abwicklung an anderen Orten und bei anderen jesuitischen Einrichtungen nicht. Der Heidelberger Universitätsbetrieb war erheblich behindert, weil Stellenneubesetzungen an der katholisch-theologischen und philosophischen Fakultät zwei Jahre lang nur provisorisch vorgenommen werden durften. Der Kurfürst schob die endgültige Lösung dieser drängenden Probleme auf die lange Bank und eine von ihm ins Leben gerufene sogenannte Jesuitenkommission trug, statt zu schlichten, zusätzlich zu Meinungsverschiedenheiten an der Universität bei.
Große Schwierigkeiten bereitete es dem kurpfälzischen Regierungsapparat, die ordnungsgemäße Verwaltung der Jesuitengüter zu organisieren und zu beaufsichtigen. Nur in Neustadt und Ingelheim harrten noch ehemalige Jesuiten weiterhin auf ihrem Prokuratorenposten aus. Ansonsten mussten weltliche Verwalter eingestellt werden. Leider gibt es Beispiele dafür (Haas S. 15), dass der Kurfürst und die Oberkuratel sich nicht scheuten, die Einkünfte aus den Jesuitengütern für zweckfremde Haushaltsausgaben zu verwenden.
Carl Theodor sah ein, dass man dem drohenden Chaos nur durch den Aufbau neuer, tragfähiger Strukturen begegnen konnte. Zunächst errichtete er für die ehemaligen Jesuitenkollegien Mannheim, Heidelberg und Neustadt eine "ohnmittelbare Spezial-Commission", bestehend aus den Beamten Graf von Schall, von Geiger und Babo. Von 1715 bis 1781 bemühte sich die dreiköpfige Kommission um die Verwaltungsaufsicht. Ingelheim bereitete offenbar keine Sorgen, denn dort lief unter Pater Roeder alles anstandslos weiter.
Als Carl Theodor 1778 die Nachfolge des bayerischen Wittelsbachers Max III. Joseph antrat, übersiedelte er von Mannheim nach München. Die Schwächen des absolutistischen Systems im Blick, bemühte sich der Kurfürst zunächst, einen Reformkurs zu verfolgen. Trotz anfänglicher Erfolge gelang es ihm nicht, die Bayern für sich zu gewinnen, und seine innenpolitischen Schwierigkeiten, mit denen er in München zu kämpfen hatte, nahmen mehr und mehr zu. Gleichzeitig sorgte das alte kurpfälzische Problem der Jesuitennachfolge in seinem Stammland nach acht Jahren noch immer für Unruhe. So schien es ihm geboten, es endlich dauerhaft zu lösen. Zu seinen Beratern und persönlichen Vertrauten gehörten zu dieser Zeit der aus Frankreich stammende Abbé Maillot und P. Desbillons, ein aus Frankreich vertriebener Ex-Jesuit. Vermutlich haben ihm beide dazu geraten, den Lazaristenorden aus Frankeich für die Nachfolge der Jesuiten zu gewinnen. Die Kongregation hatte ihren Sitz in Paris und widmete sich hauptsächlich der Volksmission. Von Maillot beeinflusst, reifte in Carl Theodor der unrealistische Plan, die Jesuiten durch die französischen Lazaristen zu substituieren und damit den alten Zustand annähernd wieder herzustellen.
Das Vorhaben stieß in der Kurpfalz auf erhebliche Vorbehalte. Zweifel an der zu erwartenden Kompetenz und Loyalität der französischen Lazaristen wurden laut. Schließlich gehörten die akademische Lehrtätigkeit und die Verwaltung von Wirtschaftsgütern nicht zu ihren Aufgabenschwerpunkten, und niemand konnte wissen, ob sie die Weisungsbefugnis deutscher Obrigkeit anerkennen würden. Trotzdem bevollmächtigte Carl Theodor den Abbé Maillot dazu, mit den Pariser Ordensoberen zu verhandeln und die Lazaristen in der Pfalz einzuführen. Jedenfalls beruft sich der Abbé in der Folge bei seinem recht eigenmächtigen Vorgehen stets ausdrücklich auf seinen kurfürstlichen Auftraggeber.
Carl II., Herzog von Zweibrücken, seine hzgl. Kammer sowie die geistlichen Nachbarfürstentümer Mainz, Speyer und Worms reagierten befremdet und fühlten sich übergangen. Das Erzbistum Mainz meldete durch seinen Referenten vorsorglich Rechte des Ordinariats auf die Ingelheimer Mission an, hatte dann aber letztendlich gegen die Besitzübertragung keine Einwände. Carl Theodor und Maillot ignorierten alle Bedenken. Am 12. Oktober 1781 setzte der Kurfürst den deutschstämmigen Pater Johann Wilhelm Theobald als Superior einer neu zu gründenden Provinz ein und übergab ihm die Verwaltung der Hinterlassenschaft der ehemaligen Jesuiten. Mit Schreiben vom 7. November 1781 unterrichtete er seine Mannheimer Hofkammer von dem vollzogenen Schritt und fügte den Wortlaut der Urkunde bei: "Schankung und Übertrag sämtlicher Güter der erloschenen Gesellschaft Jesu an die Priester der Mission zur Errichtung einer Provinz in der Kurpfalz de dato Mannheim den 7. November 1781".
Aus dem Text ist unter "Sechstens“ ersichtlich, dass die Mission zu Ingelheim sich wesentlich von den anderen Einrichtungen unterschied. Nur sie war von einem privaten Stifter fundiert, dessen testamentarisch dokumentierter Wille zu beachten war (... nach Vorschrift der von Clossischer Schankungen und Testaments ...). Carl Theodor erkannte dabei ausdrücklich die von seinem kurfürstlichen Vorgänger übernommenen Verpflichtungen an. Verschiedene Rechtstitel werden eigens aufgezählt (Volltext in Haas, S. 27-28).
Im Januar 1782 gaben die drei kurpfälzischen Kommissionsbeamten offenbar mit großer Erleichterung ihre Verwaltungsaufsichtsämter an den Kurfürsten zurück. Superior Theobald bemühte sich mit Unterstützung Maillots zunächst darum, die Aufgaben und Pflichten der Lazaristen zu klären und schriftlich zu fixieren. Dann nahm er eine "Bestandsaufnahme der mit der Schenkung übertragenen Güter und Kapitalien sowie der damit verbundenen Obliegenheiten, Schulden und Lasten" vor. Bald musste er erkennen, dass er von der kurpfälzischen Hofkammer über den Tisch gezogen worden war. Wenn auch einzelne Güter, wie z. B. Ingelheim, noch einwandfrei funktionierten, so waren doch anderswo während der zögerlichen Abwicklung betriebswirtschaftliche Schäden eingetreten und Unregelmäßigkeiten vorgekommen. Bei der Bestandsaufnahme kamen mehr Schulden als erwartet zu Tage. Die schlimmste neue Belastung waren aber die aufzubringenden Gehälter und Versorgungsbezüge. Während die Jesuiten die Güter in straff organisierter Eigenwirtschaft betrieben hatten, kamen auf die Lazaristen gewaltige Personalkosten zu. Seit Auflösung der Jesuiten-Kollegien oblagen der kurpfälzischen Hofkammer die Pensionszahlungen an alte und kranke Jesuiten, deren Unterhaltssicherung durch den Orden entfallen war. Von diesem lästigen Haushaltsposten hatte man sich nun befreit und den Lazaristen mit der "Schankung" zugleich die Zahlungsverpflichtung übertragen. Die günstige Gelegenheit zur eigenen Entlastung nutzend, hatte man zusätzlich den Kreis dieser Versorgungsempfänger um einige Hofbeamte erweitert.
So standen die Lazaristen gleich vom Start an wirtschaftlich auf verlorenem Posten. Sie waren nicht in der Lage, die Ausgaben von den Einnahmen zu bestreiten. Ihre Not war so groß, dass sie den Kurfürsten um unverzinslichen Vorschuss zur Gewährleistung ihres Erziehungsauftrags und der Schuldentilgung bitten mussten. Es ist begreiflich, dass die ums Überleben kämpfenden Lazaristen unter diesen Umständen gelegentlich betriebswirtschaftliche Kurzsichtigkeit bewiesen.
So sind vermutlich die massiven Vorwürfe einzuordnen, die Arnold Mathy, der schärfste Kritiker der Lazaristen, in seiner Schmähschrift erhebt. Nach Haas handelt es sich bei diesem Autor um einen ehemaligen Jesuitenzögling, der 1781 die Priesterweihe empfangen hatte. Als junger Weltgeistlicher wurde er 1782 von den Lazaristen im Convictum Carolinum als Lehrer eingestellt. Er war ein Anhänger Kants und stand der Aufklärung aufgeschlossen gegenüber. Diese Einstellung führte notwendigerweise zu einer Kontroverse mit dem konservativen Superior Saligot und zu Mathys Entfernung aus dem Schuldienst. Die Rache des Gemaßregelten traf die Lazaristen schmerzhaft. Als geschulter Rhetoriker verfolgte er sie fortan mit maßloser Polemik. Es war ihm daran gelegen, sie als hab- und geldgierige Monster darzustellen.
Bezüglich der Ingelheimer Betriebsführung berichtet er, die Ingelheimer und Neustädter Weine der 70er und 80er Jahrgänge seien zu Schleuderpreisen verkauft worden, nur um schnell an Bargeld zu kommen. Ferner habe man bei einer kurzfristig angesetzten Ingelheimer Weinversteigerung mit der Forderung nach sofortiger Barzahlung viele Interessenten abgeschreckt. Wegen der gesunkenen Weinpreise sollen die Ingelheimer Winzer den Pater Ahlesse bei anderer Gelegenheit mit Tätlichkeiten bedroht haben. So bekam auch das Ingelheimer Gut die Turbulenzen zu spüren, von denen die zu einer wirtschaftlichen Einheit zusammengefassten ehemaligen Jesuitengüter geschüttelt wurden.
Zu einer Erfüllung des geistlichen Stiftungsauftrags waren die neuen Besitzer nicht mehr in der Lage. Pater Roeder, der letzte Ingelheimer Jesuit, war bald nach der Besitzübertragung an die Lazaristen verstorben. Lt. Saalwächter (S. 13) wurde das Ingelheimer Gut in drei Teilen verpachtet. "(...) Am 22. Februar 1783 war ein gewisser Heinrich Eich zu Nieder-Ingelheim Zeitbeständer eines Gutsteiles. Seine Jahrespacht betrug 100 Gulden Grundzins; als Naturalabgabe hatte er 20 Malter Roggen, 16 Malter Gerste oder Spelz und einen halben Malter Rübsamen zu liefern. Einen zweiten Gutsteil dürften die Weinberge, die dazu geeigneten Grundstücke, die Wirtschaftsgebäude, das Kelterhaus und die Weinkeller der Jesuitenmission und einer der ihr angrenzenden Hausgärten gebildet haben. Wer diesen Teil als erster Pächter der Lazaristen bewirtschaftete, wissen wir nicht. Vielleicht war es der im Jahre 1806 vorkommende Pächter Kemmerer."
Alle ehemaligen Jesuitengüter unterstanden einer zentralen Verwaltung. Offenbar um der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu entgehen, versuchten die Lazaristen, so viele Waren wie möglich zu verkaufen.
Trotz aller Bemühungen wuchs die Schuldenlast aber mehr und mehr. Die Kongregation bat 1788 um Schuldenerlass. Pater Saligot, der dritte Superior, reiste nach München, um dem Kurfürsten die Lage zu schildern und die Ursachen aus seiner Sicht aufzuzeigen. Carl Theodor nahm sich der Angelegenheit persönlich an. Die Kongregation wurde von ungerechtfertigten Unterhalts- und Pensionslasten befreit, der Personalbestand auf 30 Personen begrenzt und Saligot angewiesen, jährlich Bericht an den Kurfürsten zu erstatten. Im Interesse der Lazaristen wurde eine Untersuchung eingeleitet, die mit der Entlassung eines Regierungssekretärs endete.
Den Lazaristen, die von vornherein mit Vorurteilen zu kämpfen hatten, gelang es nicht, sich in der Pfalz zu integrieren. Bei ihrem erbitterten Kampf um die Erfüllung ihrer Aufgaben schufen sie sich viele Feinde. Nicht nur, dass sie mit großer Hartnäckigkeit sich wirtschaftlich zu behaupten suchten, sie hielten auch bald die Macht über das gesamte katholische Bildungswesen in ihren Händen. Dieses rigorose Dominanzstreben mag die Ursache der Feindseligkeiten gewesen sein, die ihnen vielfach entgegen schlugen und sich in ungerechtfertigten Schmähungen, wie z. B. in Mathys Pamphlet, äußerten.
Der unerwartete Tod des Superiors Saligot im Jahre 1793 hatte den Zusammenbruch der Kongregation zur Folge. Die Pläne Carl Theodors, nun den Benediktinern die Nachfolge anzutragen, erledigten sich, weil Neustadt, Mannheim und Ingelheim von den kriegerischen Folgen der französischen Revolution betroffen waren. Erneut ordnete der Kurfürst die Verwaltung der Güter durch ein Kollegium an, dem die Beamten Freiherr von Lamezan, von Zentner und von Schmitz angehörten.
Nachdem das linke Rheinufer an die französische Revolutionsarmee preisgegeben war, sorgte sich Anfang 1798 der im Nieder-Ingelheimer Missionshaus wohnende kurpfälzische Schaffner Anton Wolfer um das Schicksal der Cloß’schen Armenstiftung. Der Auftrag, Brot und eine kleine Geldspende an Bedürftige abzugeben, war bis dahin noch nach Möglichkeit erfüllt worden. Seine vorgesetzte Behörde gestattete ihm nicht, mit der französischen Militärbehörde zu verhandeln, wie er es vorgeschlagen hatte. Die Kommission stellte sich auf den Standpunkt, dass sich die von der Stiftung begünstigten Bürger selbst um den Fortbestand zu kümmern hätten. Wolfer wurde lt. Saalwächter angewiesen, schnellstens so viele Außenstände wie möglich einzutreiben. Alle zur Rechnungslegung gehörenden Dokumente und Belege hatte Wolfer bereits 1797 nach Mannheim abgeliefert. Die Franzosen hinderten ihn nicht, Stiftungsaufgaben zu erfüllen, beschlagnahmten jedoch für die Unterbringung von Zöllnern und Gendarmen einen großen Teil des Missionshauses.
Um Platz in der ehemaligen Bibliothek zu schaffen, wurden deren 336 Bücher nach einer Bestands- und Wertaufnahme am 13. September 1800 versteigert. Der Bibliothekar der Mainzer Universität sprach ihnen fast jeden Wert ab, bis auf vier Bücher, die er nach Mainz bringen ließ. Wohin die anderen kamen, ist unbekannt (s. Saalwächter BIG 16, S. 22 und 23).
Die Vertreter der Gemeinde Nieder-Ingelheim konnten letztendlich weder den Präfekten Jeanbon St. André noch die französische Zentralverwaltung vom gemeinnützigen Charakter der Stiftung überzeugen. Alle Einsprüche der Bürgervertretung halfen nichts. Die sogenannte Jesuitenmission wurde nicht als Stiftungsgut der Armenpflege anerkannt. Nach gründlichem Studium der Akten erklärte der Präfekt am 8. Januar 1806 den aus seiner Sicht konfiszierbaren geistlichen Besitz zum Nationaleigentum.
Diese Entscheidung kann nicht verwundern, wenn man bedenkt, dass auch die kurpfälzische Hofkammer das Ingelheimer Gut als Bestandteil des abzuwickelnden jesuitischen Nachlasses angesehen hatte. Der Präfekt brauchte sich nur diese aktenkundige Rechtsauffassung zu Eigen zu machen, um die Anwendung des Enteignungsgesetzes von 1791 zu rechtfertigen. Bei der Abwägung streitiger Rechtsansprüche mag letzten Endes der Geldbedarf des Staates zu Lasten der Armenpflege den Ausschlag gegeben haben. Selbst der zunächst von der Konfiszierung ausgenommene rechnerische Armenanteil wurde im März 1806 per Dekret der Zentralverwaltung von der Ingelheimer Hospizienkommission zurückverlangt.
Am 27. Januar 1806 kam das Hofgut als Domäne zur Versteigerung. Brotspenden an die Armen waren zwar noch erlaubt, doch der jetzt zuständigen Hospizienkommission fehlten, wie aus Archivalien hervorgeht, die Geldmittel. Noch nach zwei Jahren gab es lt. Saalwächter einen vergeblichen Versuch, wieder an die verlorenen Stiftungsgelder heranzukommen.
Im Schicksal der Cloß’schen Stiftung spiegelt sich der Niedergang des absolutistischen Systems. Noch vor der Verstaatlichung durch die Franzosen hatte eine Erosion des Besitzes durch Gewinnabschöpfung begonnen. Die Ursache dafür ist sowohl in der Unfähigkeit des kurpfälzischen Regierungsapparats als auch in Fehlentscheidungen des Kurfürsten zu suchen. Wachsende Bevölkerungszahlen und ein vergrößertes Territorium stellten Carl Theodor vor Anforderungen, denen er nicht mehr gerecht werden konnte. Es war ihm unmöglich, noch alle Fäden persönlich in der Hand zu halten. Mit der Auflösung der jesuitischen Institutionen waren tragende Stützen seines Staates weggebrochen. Acht Jahre danach versuchte er auf autoritäre Weise, die Lazaristen als wenig tauglichen Ersatz zu installieren. Mit der Aufgabe, die Wirtschaftsbetriebe zu sanieren und der Ausbreitung der Aufklärung entgegenzuwirken, waren sie überfordert und konnten seine Erwartungen nicht erfüllen.
Der mit dem Nieder-Ingelheimer Missionsgut verknüpfte Armenfonds erlitt ein Schicksal, dem früher oder später alle hochherzigen Stiftungen anheimfallen. Als mit dem Verschwinden der Jesuiten auch das Andenken an den Stifter Anton Otto von Cloß verblasste, begann eine schleichende Vernachlässigung der Obliegenheiten und des Besitzes. Die Zentralverwaltung war nur an den Einkünften interessiert.
Vor der Versteigerung hat der Architekt Henrion im Auftrag der französischen Departementsverwaltung 1806 eine Schätzung der Domäne vorgenommen. Dem Protokoll, das sich auf das Gut im Belzen mit zugehöriger Landwirtschaft bezieht, ist lt. Saalwächter (S. 21) zu entnehmen, dass die Bodenqualitäten wegen schlechter Unterhaltung nur mittelmäßig gewesen seien. Der Besitz fiel den Franzosen wie eine reife Frucht in den Schoß.
Im Cloß’schen Testament waren bekanntlich auch andere Gemeinden (Bubenheim, Elsheim, Groß-Winternheim, Schwabenheim, Appenheim, Ober-Hilbersheim, Gensingen, Nierstein, Oppenheim, Undenheim) bedacht worden. Diese Stiftungsgelder wurden in einem gesonderten Armenfonds verwaltet, der die französische Revolution und die napoleonische Zeit überdauert hat, wenn auch in den Kriegswirren zahlreiche Rechtstitel in Verlust geraten sind. Infolge von Misswirtschaft, Nachlässigkeit und Veruntreuungen schrumpfte auch dieser Fonds im Laufe der Jahre mehr und mehr, bis er 1911 per Dekret der nunmehr hessischen Regierung aufgelöst wurde.
Anmerkung: Die themenspezifischen Informationen zu den Lazaristen im Allgemeinen und dem Ingelheimer Missionsgut im Besonderen verdanke ich folgenden Autoren: Alban Haas, Die Lazaristen, und Andreas Saalwächter, Rund um den Königshof Ingelheim = BIG 16.
Gs, erstmals: 12.11.06; Stand: 21.03.21