vom 18. Februar 1747
Autor: Hartmut Geißler
aus Adalbert Erler in BIG 36, S. 79 ff.
PRIVILEG des Kurfürsten Karl Theodor von der Pfalz für die Orte des Ingelheimer Grundes, vom 18. Februar 1747 — Stadtarchiv Ingelheim
VON GOTTES GNADEN WIR KARL THEODOR PFALZGRAF BEY RHEIN, DES HEILIGEN RÖMISCHEN REICHS ERTZ SCHATZMEISTER UND CHURFÜRST IN BERGEN, ZU JÜLICH, CLEVE UND MÖRSS, MARQUIS ZU BERGEN OP ZOOM, GRAFF ZU VELDENTZ, SPONHEIM, DER MARCK UND RAVENSBERG, HERR ZU RAVENSTEIN ETC. ETC.
FÜGEN HIEMIT JEDERMÄNNIGLICH ZU WISSEN: demnach von Römischen kaysern und nachhin von Unseren in gott ruhenden geehrtesten vorfahren ahn der Chur der Ingelheimer grundt, oberambts Oppenheim, nahmentlich Ober- und Niederingelheim, Großwinternheim, Sauer Schwabenheim, Bubenheim, Elßheim, Wackernheim undt Freiweinheim, mit besonderen privilegien, freyheiten undt gnaden nach und nach begabt worden, welche, daß wir nach dem antritt Unserer regierung gnädigst bestätigen mögten, Schultheiß, Schöffen undt gemeinden alda uns untertänigst gebetten, daß Wir dahero aus landtesfürst-vätterlicher huldt sothanes ihr unterthänigstes bitten in gnaden willfahret, mithin derselben unter ält unddt jüngeren zeithen geflossene privilegien, befreyungen undt vorzüglichkeiten — so viel darahn in herbringen undt den geänderten zeitumbständen gemäß ist — gnädigst confirmiret haben, wie hernach folget:
Articulus primus
Wenn ein einwohner obgedachter Ingelheimer grundts communen ins Rheingau, nacher Mayntz, undt in die nächste Pfand- undt Reichsstätte sein domizilium zu transferiren gesinnet, solle er nach der uns docirten alten Observanz keine nachsteuer zurück zu lassen gehalten sevn, sondern frey undt ungehindert ziehen; wohingegen in andere stätte und orth, undt mit welchen der freye Zug nicht hergebracht ist, emigriret werdt, in solchem fall hat es bey der herkommlichen abzugsgebühr sein ohngeändertes bewenden.
Articulus secundus
Wofern ein delinquent und malefizpersohn in des Ingelheimer grundts district betretten wirdt, haben schultheiß undt schöffen macht undt gewalt nach bißheriger Übung, solche einzuziehen und nach Oberingelheim in hafften zu bringen, so forth die inquisition gebührender maßen vorzunehmen, die füllung des urtheiles aber von Uns oder Unserer nachgesetzter Landts-Regierung jedesmahlen gehorsambst abzuwarthen.
Articulus tertius
Aldiweillen die Ingelheimer grundts eingesessenen das freye jagen undt fischen hergebracht, dahero wollen Wir dieselben hier bey belassen, die gewöhnliche heeg zeith aber unter der oberambtlichen obsicht auffs genaueste beobachtet gnädigst wissen.
Articulus quartus
Alle gegenwärtige undt zukünfftige einwohner besagten Ingelheimer grundts, seindt aller Frohndtdiensten befreyet, welche sie sonsten Chur Pfaltz zu leisten schuldig weren, doch, daß sie zum behuff ihres gemeinen weesens weegen undt steegen benöthigte handt- und spanndiensten zu thun haben.
Articulus quintus Uns seyndt auch ermelte bürger undt einwohner mit leibeigenschaff nicht zugethan, jedoch welcher in frembde herrschaft abziehen wolte, solches Uns oder Unserer landtsregierung anzuzeigen, um darüber Unsere gnädigste bewilligung zu erbitten, schuldig.
Articulus sextus
§ 1 Welche orthschafften in gedachtem Ingelheimer grundt biß hiehin von kleinem feldt- undt bluthzehenden befreyet gewesen seyndt, Wir bey dieser hergebrachten freyheit künfftighin zu belassen gnädigst gemeint.
§ 2 Nicht weniger, so viel den großen frucht zehenden anbelanget, soll es bey dem herkommen sein verbleiben haben.
§ 3 Der noval zehenden sambt dem neubruch aber Uns alleinig schuldiger massen abgegeben werden.
Articulus septimus
§ 1 Deßgleichen solle es bey dem im Ingelheimer grundt von unfürdenklichen zeithen herkommlichen modo decimandi, wie bey jeglichem orth üblich gewesen, künfftig sein ohngeändertes bewenden behalten, daby jedoch sich die unterthanen alles unterschleiffs und ohnziemblichen vervortheillens gäntzlich entäußern.
§ 2 Derowegen Wir dann auch insonderheit das orth Sauer Schwabenheim bey dessen herkommlicher gewohnheit in abgebung des wein zehenden im weinberg fürtershin gehandhabet und gegen alle ohnziembliche neuerung geschützet wissen wollen.
Articulus octavus
Ist der flecken Oberingelheim berechtiget, alle wochen einen, und jeglichen jahres drey märckte zu halten, anbey das erhebende standtgeldt privative vor sich zu genießen undt zum gemeinen besten in der bürgermeisterey rechnung verrechnen zu lassen.
Articulus nonus
Lassen Wir es bey dermahlig vergleichmäßigen Observantz, krafft welcher Oberingelheim, an statt des zehenden theils weinzehend, allein das dreißigste legel entrichtet, gleichfalls lediglich bewenden, und sollen dieselben hingegen keineswegs beschwehret werden.
Articulus decimus
Gleichwie bißhero der Ingelheimer grundt durchgängig die freyheit genossen, statt eines stück weins ad sieben undt ein halb ohm nur zu einem fuder, ad sechs ohm gerechnet, mehr nicht als ein gulden zwantzig kreuzer zoll und ein gulden lagergeldt undt weithers keinen landt zoll bey der abfuhr noch sonsten was zu entrichten, also wollen Wir es dabey fernerhin aus gnaden belassen. — Seyndt auch
Articulus undecimus
So weithers gnädigst gemeynet, daß es bey dem herkommen des halben accis vom schlachtenden viehe, undt früchten verbleibe. — Deßgleichen
Articulus duodecimus
Sollen Uns sie von verzapfenden weinen mehr nicht als von jeder maass ein kreutzer ahn kreutzer geldt, hingegen gar kein umbgeldt /: gleich bißhero üblig gewesen :/ zu entrichten ahngehalten zu werden.
Articulus tertius decimus
Ebener maßen sollen beyde orthschafften Ober- und Niederingelheim bey dem alt üblichen recht, krafft dessen sie zu Daxweiller von jedem hauß alljährlich ein rauch huhn und ein simmern haaber nebst anderen bißhero gewöhnlichen güthern undt weydtzinsen genossen undt gezogen, in zukunfft verbleiben.
Articulus quartus decimus
In ansehung, daß der orth Niederingelheim die wein zehendtfreyheit in seiner gantzen gemarckung hergebracht hat, so wollen Wir auch selbige darinnen nicht beeinträchtigen lassen. — Undt da
Articulus quintus decimus
In dem orth Großwinternheim die abgaab eines freywilligen weinzehendts dergestalten herkommlich, daß jedem, der den zehendt überlieffert, der decimator von jedem legel most, ad ein halb ohm gerechnet, drey pfennig an geldt zurückgeben, und zahlen müsse, so solle auch diese observanz in ihrer ohngeänderter übung verbleiben.
Articulus sextus decimus Dem orth Freyweinheim seyndt Wir gnädigst gemeinet, in anbetracht ihrer hergebrachten desfalsigen immunitaet, die freyheit von der landtmilizstellung, wie bißhero, also fernerhin ahngedeyhen zu lassen. — Desgleichen
Articulus septimus decimus
Bleibt Uns das zu obengedachtem Freyweinheim von ohnfürdenklichen zeithen wohl hergebrachtes und Unserem Churhauss ohnstrittig gebührendes grahnen Recht zu Unserer gnädigsten disposition bevor, als welches Wir hinwiederumb aufrichten, somit die altübliche rechten in ehevorigen gang und würcklichkeit herstellen zu lassen, gnädigst entschlossen seyndt.
Dessen zu urkundt haben Wir diesen bestättigungsbrieff eigenhändig unterschrieben und mit Unserem Churfürstlich geheimen cantzley insiegel bekräfftiget.
Dusseldorf den 18. Februarii 1747
Carl Theodor Churfürst
manu propria
relectum le Marquis d‘Itre
Confirmatio deren Ingelheimer grundts privilegien
Ad mandatum serenissimi domini electoris proprium
Unterschrift (Bäumen)
Anhängendes rotes kurfürstliches Siegel in Holzkapsel
Verglichen mit Original und zeitgenössischer Abschrift im Stadtarchiv Ingelheim Nr. 5718
Erler kommentiert
[Die originale Privilegienurkunde ist ein] "Geschenk des Herrn Notars Justizrat Dr. jur. Hans-Armin Weirich in Ingelheim an diese Stadt. Die wertvolle, vom Kurfürsten selber in Düsseldorf unterzeichnete Siegelurkunde auf Pergament hat mit Sicherheit ursprünglich im Archiv der Stadt Ingelheim gelegen und ist dort wohl entwendet worden (durch den Mainzer Archivar Franz Jos. Bodmann?). Herr Notar Weirich hat sie am 20. Nov. 1982 auf einer Versteigerung des Antiquariats Christoph in Bonn erworben, um sie der Stadt Ingelheim zu schenken.
Der Ingelheimer Grund ist seit 1375 ein Pfand der Kurfürsten von der Pfalz gewesen, genoß aber seine alten Privilegien weiter, wenn auch der Inhalt im einzelnen streitig war. Nach älterem Verfassungsrecht mußte bei jedem Thronwechsel der bisherige Rechtszustand neu bekräftigt werden: von seiten der Untertanen durch Huldigung, seitens des Herrschers durch Bestätigung der Privilegien. Huldigung und Privilegbestätigung bildeten eine Einheit.
Karl Theodor hat bereits 1742 den Thron bestiegen. Daß er erst 1747 die Privilegien erneuert, erklärt sich gewiß aus Meinungsverschiedenheiten über deren näheren Inhalt. Um so bedeutender ist die einverständliche Festlegung derselben in 17 Artikeln dieser Bestätigung; darunter das Recht der Auswanderung ohne Abzugssteuer, freie Jagd, Abhaltung eines Wochenmarktes und dreier Jahrmärkte in Oberingelheim. Art. 17 enthält jedoch einen ausdrücklichen Vorbehalt zugunsten des Kurfürsten: das wieder einzuführende Krahnenrecht in Freiweinheim (sog. Privilegium odiosum).
Die Ingelheimer haben dem Kurfürsten im Zusammenhang mit der Bestätigung auch gehuldigt, freilich nur in einfacher Form: die Bürgerschaft zog mit Fahnen und klingendem Spiel an den Rhein, um dem stromabwärts vorbeifahrenden Serenissimus „dreimal Salve zu geben“."
Erläuterungen
Die 17 Artikel befassen sich vornehmlich mit Abgabenfragen, also mit Steuern und Zöllen, die nicht erhöht oder gar nicht eingezogen werden sollen, was in den Zeiten eines absolutistischen Staates mit ständig wachsendem Geldhunger eine sehr wichtige Frage war. So gesehen, blieb dem Ingelheimer Grund damit der Status eines "Sonderwirtschaftsgebietes" erhalten. Außerdem geht es noch um die Gerichtshoheit, um Jagd- und Fischrecht, um Leibeigenschaft, Frondienste und das Kranrecht in Frei-Weinheim.
Vorrede ("Fügen hiemit"): Aufgezählt werden die damaligen Orte des "Ingelheimer Grundes", des alten reichsunmittelbaren Landes zur Versorgung der Pfalz. Eine Einschränkung wird bei der Bestätigung der Privilegien gemacht; bestätigt wurden nämlich nur diejenigen, die nach Herkommen und geänderten Zeitumständen noch zeitgemäß seien. Welche gegenüber der letzten Privilegienbestätigung etwa weggelassen wurden, lässt sich nicht ermitteln.
Artikel 1: Wegzug ohne "Abzugsgebühr" ist weiterhin möglich, sofern dies in die benachbarten Gebiete, nämlich den kurmainzischen Rheingau, Mainz selbst und in benachbarte Städte in der Reichspfandschaft (d.h. wohl Oppenheim) sowie andere benachbarte Reichsstädte geschieht.
Artikel 2: Die Ingelheimer Gerichte haben weiterhin Gerichtshoheit in Ermittlung ("inquisition") und Vollstreckung ("füllung"), müssen sich aber ihr Urteil von der Pfälzer Regierung bestätigen lassen.
Artikel 3: Den Ingelheimern verbleibt die freie Jagd und das freie Fischen unter Beachtung der Hegezeiten, die vom Oberamt Oppenheim geregelt und überwacht werden.
Artikel 4: Die Ingelheimer sind von den üblichen kurpfälzischen Frondiensten weiterhin befreit, aber zu den Hand- und Spanndiensten für die eigene Gemeinden verpflichtet (Wegebau, Brückenbau).
Artikel 5: Es gibt weiterhin keine Ingelheimer Leibeigenschaft gegenüber dem Pfalzgrafen; wer aber in fremde Herrschaften wegziehen will, muss es melden und um Erlaubnis bitten.
Artikel 6: Dieser Artikel befasst sich mit den verschiedenen "Zehnten" als Abgaben. Der "kleine" Feld- und Blutzehnt bleiben weiterhin erlassen, d.h. kein Zehnt auf Feldfrucht außer Getreide, Großvieh und Wein, die zum "großen" Feldzehnt gehörten. Der "Blutzehnt" wurde sonst auf geschlachtete kleine Hoftiere erhoben. Der Novalzehnt und Umbruchzehnt, d.h. Abgaben auf Neuland und neues urbar gemachtes Land, sollen weiterhin abgegeben werden, was aber für den Ingelheimer Grund kaum Bedeutung gehabt haben kann, da es dort schon lange kaum noch Land gab, das noch nicht bewirtschaftet war.
Artikel 7: Es bleibt bei der bisherigen Art und Weise ("modo decimandi"), wie der Zehnt erhoben wird. Vor Unterschlagungen wird allerdings gewarnt. In Schwabenheim soll der Weinzehnt auch künftig im Weinberg - und nicht wie in Ober-Ingelheim - am Wehrmauertor erhoben werden.
Artikel 8: In Ober-Ingelheim dürfen ein wöchentlicher Markt und außerdem drei Jahrmärkte durchgeführt werden, deren Standgelder der Ortsverwaltung gegen Rechnungslegung zufließen.
Artikel 9: Der Weinzehnt soll in Ober-Ingelheim nicht ein Zehntel betragen, sondern nur der dreißigste Teil eines Legel betragen. Beim "legel" könnte es sich um ein Weinmaß handeln, genannt Lögel oder Lägel, das zwischen 45 und 50 l entspricht. Der Legel war aber auch einfach der Korb, den man bei der Weinlese auf dem Rücken trug.
Artikel 10: Die bisherigen Verzollungsvorschriften für den Weinexport aus dem Ingelheimer Grund sollen beibehalten werden, nämlich für ein Fuder (à sechs Ohm, d.h. 9 Hektoliter) nicht mehr als 20 Kreuzer Zoll sowie einen Gulden als Lagergeld (im Hafen?), aber keine sonstigen Abgaben.
Artikel 11: Vom Schlachtvieh sowie von Feldfrüchten soll weiterhin nur der halbe Steuersatz der Akzise, einer Verbrauchssteuer, entrichtet werden.
Artikel 12: Die Umsatzsteuer auf Wein ("von verzapfenden weinen"), der im Ingelheimer Grund ausgeschenkt wird, soll höchstens einen Kreutzer pro Maß (= etwas mehr als ein Liter) betragen, ohne "Kreuzer-Geld" (einer weiteren Steuer entsprechend dem Bierpfennig), und kein Umgeld mehr. Das "Umgeld" war gleichfalls eine Umsatzsteuer.
Artikel 13: Ober- und Nieder-Ingelheim sollen von dem Ort Daxweiler im Ingelheimer Wald jährlich pro Haus ein geräuchertes (?) Huhn und ein "Simmer" (= ein Scheffel, d.h. 0,2868 hl in Frankfurt oder 0,32 hl in Hessen) Hafer bekommen, zusätzlich zu anderen bisher üblichen Gütern und Weidezinsen.
Artikel 14: Der Nieder-Ingelheim Wein soll in der ganzen Gemarkung zehntfrei bleiben.
Artikel 15: In Großwinternheim soll die Abgabe eines freiwilligen Weinzehnten unverändert so gestaltet werden, dass denen, die ihn zahlen, von jedem Legel Most drei Pfennig rückerstattet werden.
Artikel 16: Frei-Weinheim bleibt wie bisher von der Pflicht zur Landmilizstellung befreit.
Artikel 17: Die kurfürstliche Regierung behält sich vor, das alte Kranenrecht in Frei-Weinheim, das sie zu Recht beanspruche (gegen den zeitweisen Widerstand von Kurmainz), wieder anzuwenden (heißt das, einen Kran wieder herstellen zu lassen?).
Gs, erstmals: 30.06.07; Stand: 21.03.21