Autor und Fotos: Hartmut Geißler
Die Bahnhofstraße liegt fast die ganze Steigung hinab bis zur Einmündung der Paul-Clemen-Straße auf Ober-Ingelheimer Gemarkung. Deswegen gehören die folgenden Bauten alle zu Ober-Ingelheim, auch die Villa Krebs-Schneider (s.u.).
Aufwändige Gründerzeitvilla in der Bahnhofstraße 98 an der Ecke zur Breitbachstraße, 1893 nach Plänen des Mainzer Stadtbaumeisters Eduard Kreyßig (Mainzer Christuskirche) für den Notar Otto Sommer, seinen Schwiegersohn, erbaut und nach Fertigstellung von Friedrich Wilhelm Freund gekauft, Gerberei- und Elektrizitätswerksbesitzer sowie Weinhändler.
1945 wurde die Villa von der französischen Militärverwaltung benutzt. Heute besitzt sie das Architektenehepaar Proksch, das die Villa hat renovieren lassen. Krienke, AZ-I, 28.06.07, beschreibt das Innere:
"Das Innere besticht durch überraschende Raumfolgen und macht die gehobene Wohnkultur des späten 19. Jahrhunderts in eindrucksvoller Weise erlebbar. Den Terrazzoboden im Parterre schmückt ein Mosaik. In dezentem Neobarock präsentiert sich das Herrenzimmer. Die Jugendstil-Glasmalereien des späteren Wintergartens verraten den Kunstsinn des Bauherrn: Frauenbildnisse verkörpern symbolisch Malerei und Musik. Eine geschwungene Treppe führt hinauf ins Dachgeschoss, wo im Speisezimmer ein opulenter Meißener Kachelofen zu bewundern ist."
Unterhalb davon liegt das große Weingut Neus von 1883, das zeitweise größte Weingut des Ortes, Hinweis auf den großen Aufschwung der Qualitätsweinproduktion im späten 19. und beginnenden 20. Jahrhundert.
Weiter unten, kurz vor dem Ende der Ober-Ingelheimer Gemarkung, ließ der Gründer der Nieder-Ingelheimer Cementfabrik Carl Krebsaus Heidesheim eine beeindruckende Villa errichten:
Nachdem seine Tochter Maria Christina Elisabetha ("Elise") im Jahr 1871 den Wackernheimer Heinrich Ludwig Klippel, der wohl in der Firmenleitung mitarbeitete, geheiratet hatte und die Firma genügend Gewinn abwarf, ließ ihr Vater 1877-1879 das heute als "Villa Schneider" bekannte repräsentative Gebäude in der Ober-Ingelheimer Bahnhofstraße 58 (damals Nr. 61) bauen. Beide Eltern, Carl und Christine, scheinen danach dauerhaft in der Villa gewohnt zu haben, er wurde Mitglied der Ober-Ingelheimer Casino-Gesellschaft, und beide sind 1885 bzw. 1905 in der Villa gestorben. Nach ihrem Tod 1885 bzw. 1905 wurden beide nicht in Heidesheim bestattet, wo ihr früh verstorbener Sohn seine letzte Ruhestätte gefunden hatte und die Grabmale mehrerer Krebs-Familien sind, sondern auf dem Burgkirchen-Kirchhof vor dem Nordturm. Im Jahr 1907 wurde der Besitz auf seine Tochter überschrieben, die sie bis zu ihrem Tod 1931 bewohnte.
In der Zeit von 1919/1920 wohnten auch ihre jüngere Schwester Wilhelmine ("Hella"), in Ostpreußen verheiratete Rosenow, mit zwei ihrer Kinder bei ihr. Wilhelmine war es auch, die Elises Todesanzeige 1931 als einzige unterzeichnete.
Ihren heutigen Namen erhielt die Villa von der 1932 folgenden Besitzerfamilie Schneider.
Von 1959 bis 1981 diente sie, von Boehringer Ingelheim angemietet, als Ausstellungspalais für die "Internationalen Tage Ingelheim".
Das Foto zeigt die Straßenfront der beeindruckende Villa, im Stil der damals aktuellen Neorenaissance. Sie war damals eines der ersten eleganten Wohnhäuser an der neuen Bahnhofstraße, die 1876 angelegt worden war.
Die nachträglich angefertigten unteren Reliefs des Mittelrisaliten zeigen den Stolz der aus Sachsen eingewanderten Familie Krebs auf ihren Aufstieg: links eine Mühle (Carl Krebs besaß in Heidesheim eine Ölmühle) mit der Jahreszahl 1879, dem Jahr der Fertigstellung der Villa, in der Mitte zwei Krebse (in Lorbeerkränzen?) und rechts Gebäude der Zementfabrik mit ihren Öfen und der Jahreszahl 1896, aus der Zeit ihrer Hochkonjunktur.
Im Unterschied zu den Villen anderer Nieder-Ingelheimer Fabrikbesitzer (Boehringer, Maehler, Kaege, Funcke) lag diese Villa weitab vom Firmengelände. Aber auch der Fabrikant Maehler ließ an der neuen Bahnhofstraße ein Haus für seine Tochter Herta bauen, etwas oberhalb der Villa Krebs-Schneider, das Haus mit den zwei Säulen.
Die Bahnhofstraße führt auf dieser Karte von ca. 1930 vom Ortskern Ober-Ingelheims gerade zur linken oberen Ecke, wo der Bahnhof "Ingelheim" liegt. Die ehemalige Gemarkungsgrenze zwischen Ober- und Nieder-Ingelheim ist rot markiert. Sie verläuft im Bereich der Bahnhofstraße viel weiter nördlich als bei der Grundstraße, so dass der gesamte Bereich der ansteigenden Bahnhofstraße oberhalb des Lavendel-Kreisels zum früheren Ober-Ingelheim gehört.
Gs, erstmals: 28.06.07; Stand: 29.10.21