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Die Ingelheimer "Pfalz" im Wandel der Zeiten


Autor: Hartmut Geißler

Eine wichtige Bemerkung zuvor:

Wenn im Folgenden von der Ingelheimer "Pfalz" gesprochen wird, ist normalerweise nur das Gelände der sog. Kaiserpfalz gemeint, denn jahrhundertelang war die Erinnerung geschwunden, dass es vor deren Bau ca. 500 m. weiter unterhalb schon einen merowingischen Königshof gab, mit einer Kirche (St. Remigius), in deren Turmfundamenten neulich u.a. die Reste eines Erwachsenen-Taufbeckens gefunden wurden. In der Sprache der deutschen Pfalzenforschung würde man diesen Königshof aber durchaus schon als eine "Pfalz" bezeichnen. Einhard kannte beide Zentren, er wies in seiner Karlsbiografie ausdrücklich darauf hin, dass Karls neues Palatium (Regierungsviertel) "iuxta" (neben) einem Königshof ("villa") gebaut werden sollte. Er meinte damit aber spezielle Regierungsgebäude, keine "Pfalz", wie Königsstützpunkte heute ganz allgemein und in verschiedenen Epochen genannt werden.

Wenn im 10. Jahrhundert die Ingelheimer Synoden und Osterfest-Messen in St. Remigius stattfanden, darf bzw. muss man davon ausgehen, dass damals das Pfalz-Zentrum sogar dort lag, nicht im Regierungsviertel oberhalb.

Die Benutzung der neuen Pfalzanlage und ihr Nachruhm

In den letzten zwanzig Jahren seines Lebens ließ Karl die Pfalz in Aachen zu einer Dauerresidenz ausbauen – darüber berichtet Einhard, abgesehen vom Bau der berühmten Kirche, seltsamerweise nichts.

Für die folgenden Jahrhunderte stellte Hans Schmitz die Bedeutung der Ingelheimer Pfalz in den Zusammenhang aller bekannten "Pfalzen" des größeren Rhein-Main-Gebietes (BIG 26 von 1976), sowohl was die Aufenthaltshäufigkeit der Herrscher angeht, aus ihren Itineraren erschlossen, als auch was den Rang der dabei durchgeführten Veranstaltungen betrifft.

Die "Pfalz in Ingelheim" (im engeren Sinne) spielt dabei eine durchaus wechselnde Rolle, was Schmitz auf verschiedene Faktoren zurückführt. Sie alle können hier nicht aufgeführt werden, so dass auf die Lektüre dieses sehr materialreichen Ergebnisses der Pfalzenforschung verwiesen werden muss.

Jedenfalls kam der Pfalz Ingelheim (im weiteren Sinne) für insgesamt ca. 250 Jahre eine herausragende Rolle zu, von etwa 787 bis zum letzten großen Fest des Jahres 1043 in Ingelheim, dem Hochzeitsfest Heinrichs III. Ingelheim erwarb in dieser Zeit einen legendären Ruf. Die vom stark befahrenen Rhein gut sichtbare, gewiss weiß verputzte Schauseite des langen Nordflügels muss damals ohne Bäume am Ufer (wegen des Treidelns) und ohne Häuser dazwischen gut sichtbar gewesen sein, so dass man wohl oft im Vorbeifahren sagte: "Guck mal, da oben liegt die Pfalz Karls des Großen!"

In ihren zwei Blütezeiten diente das Palatium als Stätte für ...

- Reichsversammlungen, Hoftage
- Gerichtstage
- Gesandtschaftsempfänge

Synoden und Osterfestmessen hingegen fanden unten in der Remigiuskirche bei dem dort vermuteten alten Königshof statt.

Im 10. Jahrhunderts hatten manche Adlige sogar eigene Anwesen und Versorgungsrechte im Ingelheimer Königsland, um bei den häufigen Treffen mit den Königen nicht nur in Zelten untergebracht zu sein. Dies illustriert eine Urkunde Ottos III. von 994, in der dem Markgrafen Hugo von Tuscien (aus der Toskana!) ein Bauplatz von 62 Fuß Länge "infra/intra curtem et palatium nostrum Inglinheim" (= unterhalb/innerhalb des Königshofes bzw. unseres Palatiums in Ingelheim) übertragen wurde Der Bischof von Straßburg wird in derselben Urkunde als Nachbar dieses Grundstückes erwähnt. Außerdem wurden Hugo die Einkünfte aus einem "mansus" eines Bernhard übertragen, also ein Domänengut.

Andere Bistümer und Abteien hatten ohnehin Grundbesitz in der Umgebung, wo sie unterkommen konnten. Andreas Saalwächter erwähnt für Ingelheim ...

- einen Hof des Bischofs von Worms mit Weingarten und Backhaus in Ober-Ingelheim
- den dortigen Hof des Klosters Hersfeld
- die Besitzungen des Würzburger Bischofs in Nieder-Ingelheim
- diejenigen des Abtes von Fulda in Wackernheim
- und den großen Gutshof "Pfaffenhofen" des Klosters St. Maximin in Trier bei Schwabenheim

Von Aachen kennt man solche Wohnungen bei der Pfalz schon aus der Zeit Karls des Großen, als z. B. Einhard dort ein eigenes Haus besaß.

 

Verfall und Umwidmung des nicht mehr gebrauchten Palatiums zur Burganlage (Ingelheimer "Saal") und zur Pilgerstation

Schon in der Salierzeit, spätestens unter Heinrich IV. (1056-1105), begann ein Bedeutungsverlust der ländlichen Ingelheimer Pfalz, die wie andere ländliche Pfalzen immer seltener für Großveranstaltungen benutzt wurde. Die in der späten Stauferzeit üblich gewordenen "Willebriefe" der wichtigsten Reichsfürsten zu königlichem Handeln zeigen an, dass diese persönlich wohl immer seltener an den königlichen Hof kamen, sodass man keine Räumlichkeiten mehr für größere Adelsversammlungen brauchte.

Wohl deswegen wurde das durch Nichtbenutzung verfallene Ingelheimer Palatium spätestens seit der Stauferzeit, vielleicht schon unter Heinrich IV., zu einer Burganlage umgebaut, in der - immer weiter ausgebaut - die Verteidiger zweimal (1460 und 1504) Angriffe erfolgreich abwehren konnten, bis sie im 17. Jahrhundert veraltet war und ihre Reste wohl im Pfälzer Erbfolgekrieg von den Franzosen unbrauchbar gemacht wurden.

Vom 14. bis zum 16. Jahrhundert (Aufhebung durch die Reformation) gab es ein Augustiner-Chorherren-Stift in diesem "Saal" (= Königshof), dessen vier tschechische Mönche die slawischsprechenden Pilger aus dem Osten (auf dem Weg zur Verehrung des Hl. Karl in Aachen) seelsorgerlich betreuten und versorgten und ihnen u.a. den Raum zeigten, wo das Geburtsbett Karls des Großen gestanden habe. An mehreren Altären konnte man da Ablass bekommen (s. Geißler in: Kleine Schrift Nr. 11 aus 2017).

Über den Zustand des  Ingelheimer Saales im Jahre 1619 berichtete Laurentius Engelhart in Heidelberg:

"In dem Flecken Nieder Ingelheim dem Ambt Oppenheim angehörig, zwischen Mentz unnd Bingen an der Landtstraßen an einer großen höhe, von welcher der gantze bezirckh zu übersehen, liegend, welches vor zeiten ein treflich, berühmbt unnd herrlich orth gewesen, stehet der Kayserliche Saal am ende des fleckhens gegen Maintz, von Kaysern Carolo Magno erbauwet, darvon jetzundt nur allein noch eine ringmauwer in welcher die fauthej (Fauthei = Sitz des Kurpfälzishen Fauths, des Vogtes) unnd wenig bauwern wohnungen übrig. Dieser Kaysers Saal hat ein hohe zimblich feste mauwer mit vielen wunderbahrlichen erkhen unndt rundelern (Erkern und Rondellen = halbrunde Wehrtürme), auch etliche starckhe thürn (= Türme), mit einem ofnen unbedeckten gang, so theils orthen (an einigen Stellen) abgangen, auch uf der einen seiten ein Zwinger Mauer mit etlichen rundehlen, auß welchen zu sehen, dass die Zwingermauer vor der zeit umb das gantze werkh gegangen, so nunmehr verfallen. Außen darumb gehet ein tiefer graben uf 50 schuch (50x31 cm = 15,50 m) weit, unndt gegen den fleckhen 30 schuch (9,30 m) tief ohne wasser." (Planthae, S. 18b; BIG 58, S. 33/34)

Also: Zur Zeit seiner Inspektion (1619) gab es nur noch eine Ringmauer mit wenigen Gebäuden (Fauthei und einige Bauernhäuser, die Kirche erwähnt er nicht), einige Erker und (Halb-)Türme sowie Reste einer Zwingermauer. Der tiefe Burggraben war wasserlos.

 

 

Als Beispiel für den Verfall seit dem 17. Jahrhundert mag die Illustration des Straßburger Gelehrten Daniel Schoepflin 1766 in seiner Abhandlung über den alten Kaiserpalast dienen (Bild anklicken oder hier).

 

Die Ingelheimer "Kaiserpfalz" als Touristenmagnet


Heute hat sich das Gelände des ehemalige Palatiums bzw. der daraus entstandenen Burg, der "Saal", zu einer immer bedeutenderen Touristenattraktion entwickelt, in der es sich zudem sehr gut wohnen lässt. 1992 erließ die Stadt Ingelheim eine Rechtsverordnung, die das Saalgebiet als Denkmalzone ausweist, mit den folgenden Zielen:

"die Erhaltung und Pflege der aufs engste und untrennbar miteinander verbundenen Reste der karolingischen bzw. ottonischen Pfalzanlage einschließlich ihrer in Boden und Häusern erhaltenen Reste."

Darauf fußend verabschiedete der Stadtrat 1998 das "Konzept zur Untersuchung, Erhaltung und touristischen Erschließung der Kaiserpfalz", auf dem die gesamte Darbietung der Pfalzanlage bis heute beruht.

Im November 2011 zeichnete die Stiftung "Lebendige Stadt" Ingelheim gemeinsam mit Hiddenhausen durch ein Preisgeld von 10.000 € aus für eine "unverwechselbare Stadt", und zwar für seine "beispiellose Balance zwischen Denkmalpflege und Stadtsanierung" des Saalgebietes.

Bilder aus der Pfalzanlage (von oben nach unten, alle von Gs):

a) Blick in die Aula regia über die Apsis hinweg zum querliegenden Präsentationsgebäude mit Computeranimation (Richtung Rheingau); auf dem Rasen werden bei Freilichtveranstaltungen Stühle aufgestellt

b) Blick in die Aula regia von Norden; im Süden die Apsis, rechts daneben Reste der Wehrmauer, die die westliche Außenmauer mitbenutzt und dadurch erhalten hat; Reste der östlichen Wehrmauer sind bis in größere Höhe durch das sie benutzende Haus erhalten geblieben

c) Blick außen an der Apsis hinab auf das karolingische Bodenniveau mit einem Brunnen und einem überdachten Kachelofen aus staufischer Zeit

d) Blick auf das Heidesheimer Tor von innen mit angedeuteten (roten) Säulenstümpfen

e) Blick auf die Eingangshalle des Heidesheimer Tores mit angedeuteten Pfeilerstümpfen und einer 2018 hineingelegten Nachahmung des dortigen Mosaikfußbodens

f) Blick in die karolingische Wasserleitung kurz vor der Brunnenstube bzw. dem Setzbecken, früher "Karlsbad" genannt; in die größere, trockengefallene Wasserleitung wurde in staufischer Zeit eine Tonröhrenwasserleitung gelegt

 

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Gs, erstmals: 01.08.05; Stand: 18.01.24