Autor: Hartmut Geißler
aus: Geißler, Volksschulgeschichte, BIG 56, S. 212-215
nach Archivalien aus dem Ingelheimer Stadtarchiv
Über die Schulverhältnisse in Großwinternheim während der kurpfälzischen und der französischen Zeit existieren nur spärlich Hinweise. Die Schulgeschichte dürfte wie anderswo ein Ergebnis der wechselhaften Reformationsgeschichte gewesen sein. Einige Daten sind in dem Schreiben des Rechtsanwaltes Dr. Eduard Billhardt, Mainz, vom 9. November 1907 an den Bürgermeister enthalten (im Stadtarchiv unter: Rep. GW/133/75): Die evangelische (d.h.die reformierte) Kirchengemeinde habe ihr eigenes Schulhaus 1735 mühsam aus eigenen Mitteln errichtet, da sie bei der Kirchenteilung 1705/07 leer ausgegangen sei, und es danach auch dauernd besessen. Auch der sehr einfache Bau einer eigenen Kirche von 1747 zeigt die Armut der Großwinternheimer Reformierten.
Die Zeit der Zugehörigkeit zu Rheinhessen brachte auch dem Schulleben von Großwinternheim große Verbesserungen, jedoch auch manchen Streit.
Gemeinde- oder Konfessionsschulen?
Zu Beginn der rheinhessischen Zeit waren sowohl das Schulhaus der reformierten Gemeinde als auch das der katholischen Gemeinde stark renovierungsbedürftig. Für beide existierte zwar noch je ein Schulfonds, der sich aus den Einnahmen der kirchlichen Güter speiste. Das Grundsteuersektionsverzeichnis aus der französischen Zeit vermerkt zwei Schulfonds mit je einem Haus, einen reformierten und einen katholischen. Diese Einnahmen reichten jedoch bei weitem nicht aus, um die Sach- und Personalkosten zu tragen, für die also die beiden Kirchengemeinden zuständig blieben.
In den Jahren von 1821 bis 1825 wurden Pläne und Kostenvoranschläge für die notwendigen Reparaturen bzw. Vergrößerungen des evangelischen Schulhauses angefertigt. Nachdem sich der Kauf eines anderen Hauses (der Witwe Zilluf) nicht hatte verwirklichen lassen, schlug der Gemeinderat nun vor, das alte evangelische Schulhaus abzureißen und an einer neuen Stelle eine Schule für beide Konfessionen gemeinsam zu errichten.
Dem stimmte die Mainzer Behörde zu und setzte der Gemeinde eine Frist von 10 Tagen, um durchführbare Vorschläge vorzulegen. Diese selbst sind nicht überliefert, aber tatsächlich wurde das neue evangelische Schulhaus 1830/31 in der damaligen Klappergasse, heute Wallbrunnstraße Nr. 9, errichtet, gegenüber der Einmündung der Obergasse.
Es sollte eigentlich in Hesses Sinne als Gemeindeschule für beide Konfessionen dienen. Es waren darin deshalb eine Wohnung für den katholischen Kirchendiener vorgesehen, der den Katechismusunterricht geben sollte, und ein Zimmer für den katholischen Pfarrer, wenn er die Schule besuchte. Aber alles dies nützte nichts. Die katholische Kirchengemeinde war und blieb mit der Zusammenlegung nicht einverstanden, beteiligte sich auch nicht an der Finanzierung der Gemeindeschule und protestierte gegen den Verkauf der Schulbänke aus der alten katholischen Schule, in deren Besitz sich die weltliche Gemeinde fühlte.
Die Mainzer Provinzregierung hielt jedoch an der Kommunalisierung der beiden Konfessionsschulen fest und wollte sogar das ehemalige katholische Schulhaus mit Anweisung vom 27. Dezember 1831 versteigern lassen. Hesse hatte es offenbar eilig.
Am 9. November 1833 wurde jedoch auf einer gemeinsamen Sitzung des Gemeinderates mit den beiden Kirchenvorständen beschlossen, die Organisation der Gemeinde-Schule wieder aufzulösen.
Möglich wurde dieses Verfahren durch den politischen Schwenk in Darmstadt nach der Revolution von 1830-32, auch in der Schulpolitik, der sich im Schuledict vom 6. Juni 1832 niederschlug, durch das die Auflösung schon eingerichteter Gemeindeschulen geregelt wurde. Darin hieß es:
Wenn in eine Gemeinde eine oder mehrere oder mehrere, bis dahin bestehende Confessionsschulen in Gemeindeschulen umgewandelt werden sollen, so ist erforderlich, daß eine, hierzu besonders zu constituierende Versammlung, bestehend aus a) den Mitgliedern des Gemeinderaths, b) den Mitgliedern der Kirchenvorstände der verschiedenen Confessio-nen und ausserdem c) so vielen, von der Bezirksschulcommission aus der Zahl der Höchstbesteuerten jeder Confession zu bestimmenden Familienvätern, als nöthig ist, um zu bewirken, daß in der Versammlung von jeder Confession eine gleiche Zahl von Mitgliedern vorhanden sey, über die Frage, ob eine Communalschule zu errichten sey, berathe. Sprechen sich wenigstens zwei Drittheile dieser Versammlung … für die Bejahung der Frage aus, so kann die Gemeindeschule, mit Genehmigung des Ministeriums des Inneren und der Justiz, constituiert werden…
Die Abschaffung einer Gemeindeschule sollte nach demselben Verfahren mit Zweidrittelmehrheit beschlossen werden können, gleichfalls mit Genehmigung aus Darmstadt, nicht mehr nur aus Mainz.
Erst zehn Jahre später war es offenbar so weit, dass auch das katholische Schulhaus neu gebaut werden konnte. Es ist das Pacciushaus in der Oberhofstraße Nr. 31. Nikolaus Paccius aus Mayen war von 1698 bis 1717 katholischer Pfarrer in Großwinternheim und von 1719 bis 1731 Abt des Klosters St. Maximin in Trier.
Sein Klassensaal im ersten Stock dient heute als katholischer Gemeindesaal, die Treppe und die schön restaurierte Holzwand vor der ehemaligen Lehrerwohnung im Erdgeschoss stammen noch aus der Zeit seiner Erbauung.
Die endgültige Einführung der Gemeindeschule
Nach dem hessischen Schulgesetz von 1874 wurde aber auch in Großwinternheim wie in allen anderen Ingelheimer Orten doch die konfessionsübergreifende Gemeindeschule eingeführt, und zwar durch Beschluß des Gemeinderates vom 1. August 1875. Nachdem Antrag auf schriftliche Abstimmung gestellt worden war, wurde eine geheime Abstimmung durchgeführt, die mit dem Ergebnis 8:1 für die Einführung ausging (Protokollbuch). Das bisherige evangelische Schulhaus in der Schulstraße diente nun, wie ursprünglich vorgesehen, ebenso wie das Pacciushaus als Teile dieser Gemeindeschule, bis im Jahre 1960 ein neues Volksschulhaus in der Kreuzstraße errichtet wurde.
Wachsende Schülerzahlen
Im Verlauf der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stieg die Kinderzahl auch in Groß-Winternheim stark an, so dass Erweiterungsbaumaßnahmen nötig wurden. Die Erweiterung des Pacciushauses ist als Anbau auf der Rückseite zu erkennen s.o.).
Schulbesuch israelitischer Kinder
Aus Großwinternheim ist ein Antwortschreiben des Bürgermeisters vom 18. November 1840 erhalten, in dem dieser mitteilt, dass die jüdischen Kinder in Großwinternheim die evangelische Volksschule besuchten, da die israelitische Gemeinde keinen eigenen Lehrer bezahlen könne. Nur eine Familie habe sich zeitweise einen Hauslehrer leisten können.
Schulaufsichtsfälle
Am 29. Dezember 1825 meldete der evangelische Kirchenrat, dass ihm angezeigt worden sei, dass der Schullehrer Schröder in Großwinternheim in der Kirche Tanzmusik gespielt habe. Die Mainzer Regierung beauftragte den Bürgermeister mit einer Untersuchung. Wie die Angelegenheit ausgegangen ist, darüber gibt es keine Hinweise.
Am 30. Juli 1845 genehmigte der Kreisrat dem katholischen Lehrer Johann Illy, dass er einen (katholischen) Gesangverein gründen dürfe, aber mit der Bedingung, dass dieser nicht zu oft probe. Denn der Lehrer sollte seine Schulpflichten dadurch nicht vernachlässigen.
Von 1871-1886 existierte in Großwinternheim auch eine Vorbereitungsschule für den Besuch eines Gymnasiums. Sie wurde vom damaligen evangelischen Pfarrer Dr. Johann Georg Krumm (1834-1890) im Pfarrhaus (Hof Waltmannshausen) organisiert, zusammen mit seiner Frau und drei Lehrern, die zu wissenschaftlichem Lernen hinführten. Als Unterrichtsfächer wurden 2024 von Hannelore Küthe-Battenberg, deren Großvater diese Schule besucht hatte, genannt: Deutsch, Latein, Griechisch, Religion, Geschichte, Kunsterziehung, Mathematik, Physik, Leibesübungen, Schönschreiben und Lektüre.
Wegen Krankheit des Pfarrers wurde der Unterricht an Weihnachten 1886 eingestellt. Damit endete in Großwinternheim der erste Ansatz zu einer höheren Schulbildung im Ingelheimer Raum.
Ihre Schüler übernahm 1887 eine zweite Privatschule, diesmal in Ober-Ingelheim, die von einem Lehrer bei Dr. Krumm, Hoffmann, in der Rinderbachstraße gegründet wurde. Sie benutzte dortige Gaststätten (darunter die heutige Metzgerei Stephan), wurde aber nach drei Jahren dauerhaft von der "höheren Bürgerschule" in Ober-Ingelheim abgelöst, aus der nach dem Zweiten Weltkrieg das Ingelheimer Gymnasium entstand.