Autor: Hartmut Geißler
nach Hans-Walter Klewitz, Die Festkrönungen der deutschen Könige und
Carlrichard Brühl, Kronen- und Königsbrauch im frühen und hohen Mittelalter
Die Forschung unterscheidet bei den Krönungsbräuchen...
1. die Erstkrönung zum König, die mit dem Sakrament der Salbung verbunden war, das seinerseits nicht wiederholbar war
2. eine Wiederholungskrönung oder Befestigungskrönung, um diese erste Krönung zu bekräftigen
3. Bei- oder Mitkrönungen, wenn z.B. ein Sohn zum Nachfolgekönig gekrönt oder eine Gemahlin zur Königin gekrönt wurde und der Vater bzw. Ehemann daneben nicht ohne Krone sein konnte, und
4. "Festkrönungen", die eine feierliche Messe zu hohen kirchlichen Festen einleiteten und mit feierlichen Hoftagen verbunden waren, also königliche Feste an hohen Festtagen, an denen sich der König mit all' seinen Insignien den versammelten Vasallen zeigte, eben als "König", so wie wir ihn aus Abbildungen kennen.
Brühl unterscheidet noch zwischen der liturgischen "Festkrönung" und einem nichtliturgischem "UnterKrone Gehen". Bei letzterem könnte sich der König selbst die Krone aufgesetzt haben. Dabei war die Krone (bzw. das Diadem) nur eines der königlichen Insignien neben dem Szepter, dem Reichsapfel, dem Reichsschwert.
Um solche "Festkrönungen" handelt es sich, wenn die Osteroktav in Ingelheim verbracht wurde. Es wurde nämlich wahrscheinlich als eine Art Volksfest eine ganze Woche gefeiert, von Sonntag zu Sonntag. Soweit überliefert, fanden entsprechende Fest(tags)krönungen zu anderen Festtagen so gut wie nie in Ingelheim statt, nur einmal an Pfingsten, aber nie an Weihnachten.
Das eine Pfingstfest hat Heinrich II. 1018 in Ingelheim gefeiert. Unter ihm kam die Benutzung Ingelheims außer Gebrauch, weil nun die Feiern an Bischofssitzen bevorzugt wurden. Und das macht natürlich für Ingelheim auch Sinn, denn sobald in Mainz eine ausreichende Gebäudekapazität für eine solche große Reichsfeier vorhanden war, war es natürlich praktischer, gleich dort zu feiern, als den Erzbischof mit der Domschola von Mainz nach Ingelheim kommen zu lassen. Für Konrad II. berichten zwar die Annales Hildesheim. (s. Rauch, Anm. 78), dass er Weihnachten 1029 in Ingelheim gefeiert habe; Klewitz allerdings bezweifelt dies und entscheidet sich bei Weihnachten 1029 für Paderborn als Festtagsort.
Der deutsche Begriff "Festkrönung", der im 19. Jh. aufgekommen ist, suggeriert, dass es dabei in erster Linie auf den Akt der Krönung angekommen sei, also auf das feierliche Aufsetzen der Königskrone, analog zur Erstkrönung des Königs. "Festkrönungen" sind aber eigentlich keine Wiederholungskrönungen, denn sie waren ...
... "ein althergebrachter Brauch, welcher die deutschen Könige an hohen Kirchenfesten, vornehmlich zu Weihnachten, Ostern und Pfingsten unter der Krone gehen ließ" (Klewitz, S. 6)
Und zwar in feierlicher Prozession vor dem "Volk", d.h. vor der adligen Festgemeinde - zu einer Festtagsmesse in eine Kirche hinein und anschließend hinüber zu einem großen Festmahl. Diese Sitte, dass der König sich an hohen Festtagen zur Demonstration seiner Herrschaftsgewalt im vollen Ornat im Kreise seiner Vasallen zeigte und mit ihnen eine Messe und ein Fest feierte, gab es auch in Frankreich und England.
Sie scheint ihre weltlichen Wurzeln in germanischen Bräuchen gehabt zu haben, während das Diadem selbst - die "Krone"- aus dem byzantinischen Kaiserritus entlehnt war. Sie war ursprünglich ein textiles Stirnband, aus dem ein Stirnreif aus Metallplatten entstand, später ergänzt durch Bügel.
Die liturgische Krönung, also das Aufsetzen der Krone in einem kirchlich-rituellen Akt zu Beginn des ganzen Festes, erhielt anscheinend erst allmählich im Verlauf der Entwicklung des 10. und 11. Jahrhunderts mit der immer stärkeren Verkirchlichung der Königsherrschaft ihren besonderen Rang.
Im Latein der mittelalterlichen Quellen hieß das Salben und Krönen der Erstkrönung "ung(u)ere"und "ordinare", während für Festkrönungen andere Bezeichnungen verwendet wurden; der König wurde dann z. B. einfach als "coronatus" (gekrönt, mit Krone) bezeichnet oder die Zeremonie als "regio more" (nach Königsart) oder "corona portanda" (beim Tragen der Krone) "corona ceterisque regalibus indumentis sollempniter insignitus" (mit der Krone und dem anderen königlichen Ornat feierlich geschmückt) oder "decore regio processurus" (in königlichem Schmuck auftretend) oder "cultu regio decoratus" (als König geschmückt) oder ähnlich.
Daraus lässt sich schließen, dass das Krönen bei Festen nicht denselben Charakter wie bei der Erstkrönung hatte. Die Hauptsache war hierbei vielmehr ein bekröntes Sich-Zeigen in der Öffentlichkeit, ein "Gehen unter der Krone". Da sich aber bisher kein wirklich passender Begriff durchgesetzt hat, wird hier auch der Begriff "Festkrönung" verwendet.
Solche Festtagsbräuche waren natürlich einem Wandel ausgesetzt, und dies vor allem im Laufe des 10. und 11. Jahrhunderts, also von der ottonischen zur salischen Zeit. Während die Feste mit Krönung unter den Ottonen des 10. Jh. noch überwiegend in Pfalzen gefeiert wurden, so auch in Ingelheim, verschob sich der Festtagsort im 11. Jh. in die Bischofsstädte, in ihre neuen Kathedralen, sodass die ländlichen Pfalzen an Bedeutung verloren.
Diese Ortsverschiebung hatte anscheinend auch Konsequenzen für den Verlauf der Feierlichkeiten: Die Festtagskrönung zu Beginn durch den (Erz-) Bischof und einen Diakon erhielt höheres Gewicht. Von einer solchen Zeremonie Kaiser Barbarossas zu Pfingsten des Jahres 1182, also Ende des 12. Jahrhunderts, im Stift St. Alban vor Mainz, berichten noch die Annales Breves Wormatienses.
Dabei ging der Kaiser zusammen mit seinem Sohn Heinrich, der schon als König gekrönt und für die Nachfolge bestimmt war, und seiner Frau Beatrix "culto regio decoratus" (als König geschmückt) in Anwesenheit des Erzbischofs Philipp von Köln und der Großen des Reiches von der Taufkapelle der Kirche St. Alban "solempni processione" (in feierlicher Prozession, in feierlichem Auftritt) in das benachbarte Kloster St. Alban, wohl zum Festmahl.
Klewitz gibt aufgrund der Quellen folgende Hinweise zum Verlauf des königlichen Unter-Krone-Gehens, die allerdings noch einige Unklarheiten bestehen lassen: Nach Benzo von Alba (MG. SS. 11 p. 656s.) wurde der König Ende des 11. Jh. (Heinrich IV. 1081) in einer ersten Kirche mit dem Ornat bekleidet und gekrönt, ging daraufhin gekrönt öffentlich zu einer zweiten Kirche, um dort die Messe zu feiern. Für Paderborn wird angenommen, dass die Einkleidung des Königs in der Bartholomäuskapelle stattfand, in der auch die Reichskleinodien aufbewahrt wurden, wenn der König dort war. Anschließend ging er dann im vollen Ornat die wenigen Meter in den Dom zur Messe.
Unter einer solchen "Prozession" ist also keinesfalls ein längerer Weg zu verstehen, wie heute z. B. bei der Fronleichnamsprozession, sondern nur ein sehr kurzer; es war also eher ein öffentliches "Auftreten" im Krönungsornat. Ob dazu schon immer zwei Kirchen nötig waren, muss offen bleiben. Wie der Ablauf in Ingelheim ablief, wenn dazu (höchstwahrscheinlich) die Remigiuskirche benutzt wurde, ist unklar, jedenfalls nicht bei Wind und Wetter mit einer langen Prozession die Ottonenstraße hinab.
Denn Klewitz bemerkt dazu einerseits:
"Der Ort der Festkrönung war also keineswegs gleichgültig, weil ihr Ritus wenigstens im 11. Jahrhundert für den Regelfall das Vorhandensein zweier Kirchen verlangte, zwischen denen sich die Prozession des Königs bewegen konnte." Er fragt aber auch: "Geschah das wirklich und von Anfang an? Oder ist auch diese Notwendigkeit erst das Ergebnis geschichtlicher Entwicklung?" (S. 31/32)
An anderer Stelle (S. 43) beschreibt er den Vorgang nämlich auch so, dass die salischen Könige vom Palatium im vollen Ornat zur Kathedrale (des Bischofs) gegangen seien und von dort nach der Messe zurück ins Palatium, wo das Festmahl stattfand. Dort präsidierte der König auf erhöhtem Podest. Unter dem "palatium" muss man sich aber nicht das Ingelheimer Regierungsviertel Karls vorstellen, sondern in jener Zeit wurde palatium synonym für villa/curtis benutzt. Es kann damit für Ingelheim auch ein Gebäude des königlichen Hofes bei der Remigiuskirche gemeint sein.
Feststehender Brauch war es auch, dass dem Könige in der Prozession ein Hochadliger als Schwertträger vorausging (auf der Echternacher Buchillustration oben geht der Schwertträger hinterher).
Wie ernst die Könige diese Zeremonien nahmen, kann man daraus erkennen, dass Otto der Große vor jeder Krönung gefastet und Heinrich II. gebeichtet haben soll.
Was bedeutete das für Ingelheim?
Schon unter Karl dem Großen und seinem Sohn Ludwig dem Frommen dürfte durchaus ein "Unter Krone Gehen" an Festtagen, aber auch bei anderen Anlässen in Ingelheim stattgefunden haben. Einhard berichtet von einer solchen Sitte ausdrücklich (s.u.).
Da neue Analysen ergeben haben, dass die Saalkirche nicht schon zur Zeit Ottos I. gebaut worden sein kann, sondern erst in salischer oder gar staufischer Zeit, muss die Remigiuskirche nicht nur für Synoden, sondern auch für solche Osterfeste benutzt worden sein. Eine Kapelle, falls sie nötig gewesen sein sollte, müsste man noch in ihrer Nähe finden.
Die Aula Regia kann man sich aber weiterhin als Schauplatz großer Festmähler vorstellen, mit einem erhöht in der Apsis präsidierenden König, der aber natürlich seinen wertvollen Ornat nach der Messe abgenommen bekam. Die dazu eingeladenen Gäste saßen auf Bänken an langen Tischen, wie das die Möblierung des Speisesaals des St. Galler Klosters zeigt.
Solche Feste spielten im Jahresablauf auch für die Vasallen eine erhebliche Rolle, weswegen die Reiseroute mit den Festorten des umherreisenden Königs nach Möglichkeit lange vorher geplant und bekannt gegeben wurde. Fränkische Chroniken können daher regelmäßig über den Aufenthalt der Könige zu diesen Festtagen berichten. Dass schon unter den fränkischen Königen solche Festkrönungen bzw. ein Auftreten unter der Krone Sitte waren, betont Brühl im Unterschied zu Klewitz ("781 voll ausgebildet").
Einhard berichtet über das Aussehen Karls des Großen an hohen Festtagen (c. 23,5):
"In festivitatibus veste auro texta et calciamentis gemmatis et fibula aurea sagum adstringente, diademate quoque ex auro et gemmis ornatus incedebat. Aliis autem diebus habitus eius parum a communi ac plebeio abhorrebat."
Übersetzung:
An hohen Festtagen trug er ein golddurchwirktes Kleid und Schuhe mit Edelsteinen, sein Umhang wurde von einer goldenen Spange zusammen gehalten, und er schritt auch mit einem Diadem (=Krone) aus Gold und Edelsteinen einher. An anderen Tagen aber unterschied sich seine Kleidung nur wenig von der üblichen Kleidung des Volkes.
Ingelheim besaß aber weder einen Dom mit Domschule wie die Bischofsstädte, noch ein Kloster oder eine Stiftskirche, so dass für solche Feiern die Domschola aus Mainz herbeigeholt werden musste, um Festtagsmessen angemessen zu gestalten, was für 1030 bezeugt ist. Es ist naheliegend, dass man dann lieber in Mainz feierte, sobald die Infrastruktur dort geeignet geworden war und man keinen Wert mehr auf die Weitläufigkeit eines großen offenen Geländes, etwa für Reiterspiele, legte.
Die Wahl der Orte für solche Feste
Der Festort wurde natürlich einerseits von politischen Motiven bestimmt, z. B. durch Kriege oder durch den Wunsch, vor allem mit den Adligen einer bestimmten Region wieder einmal zusammen zu sein, andererseits aber auch von massiven praktischen Zwängen. Insbesondere war für die Unterbringung und Versorgung der vielen Gäste ein hoher logistischer Aufwand nötig, der anscheinend fast sprichwörtliche "apparatus paschalis" = Osteraufwand, den im 10. Jahrhundert nicht alle Königshöfe leisten konnten, wohl aber der in Ingelheim.
So kommt es, dass von den 30 zuverlässig überlieferten Festkrönungen der drei Ottonen an Ostern im 10. Jh. in Deutschland . . .
- 13 in der Pfalz Quedlinburg stattfanden, also im Kernland der Liudolfinger
- 7 in der Pfalz Aachen
- 6 oder 7 in der Pfalz Ingelheim
- 2 in der Pfalz Dortmund
- 1 in der Pfalz Allstedt (Landkreis Sangerhausen, südöstl. vom Harz).
Das heißt, regelmäßig in den Herzogtümern Sachsen und Franken, keinmal in Schwaben oder Bayern, aber nur einmal aus besonderem Anlass in einer Bischofsstadt, nämlich 990 in Mainz, der Stadt des Erzbischofs Willigis, der sich während und nach der Regentschaft der Kaiserin Theophanu um den unmündigen Otto III. kümmerte.
Zu der Tabelle mit allen feststellbaren Festorten der Ottonen bei Klewitz
Unter Heinrich II. (1002 - 1024) fanden von 17 eindeutig überlieferten Osterfesten zwar noch fünf in Pfalzen statt:
- 1 mal nur noch in Quedlinburg,
- 1 mal in Aachen,
- 1 mal in Ingelheim (1017) (und 1018 an Pfingsten)
- 2 mal in Nijmegen,
aber 12 in Bischofsresidenzen.
Zu der Tabelle mit allen feststellbaren Festorten der Salier bei Klewitz
Von den ersten Saliern Konrad II. (1024 - 1039) und Heinrich III. (1039 - 1056) wurde Ingelheim nur noch dreimal zur Feier des Osterfestes aufgesucht: 1030 und 1036 bzw. 1040. Unter diesen beiden Königen wurde vielmehr eine andere Pfalz zum festen Herrschaftsmittelpunkt, Goslar. Konrad ließ dort die doppelgeschossige Pfalzkapelle St. Marien bauen und Heinrich die "Reichskapelle" St. Simon und Juda, als königliches Münster und Ziel der Festtagsprozession.
Diese Entwicklung kam aber durch den aufreibenden Investiturstreit ins Stocken und brach ab, als die Königswürde auf die Staufer überging, die in Südwestdeutschland ihren Schwerpunkt hatten. In ihrer Zeit erlangte die Ingelheimer Pfalz aber nie wieder ihre frühere Bedeutung, sondern sie wurde zu einer Burganlage umgebaut.