Die evangelischen Lehrer Wenzel und Müller in Ober-Ingelheim

 

Autor: Hartmut Geißler

aus: Geißler, Volksschulgeschichte, BIG 56

 

Jakob und Peter Wenzel

Während die meisten Ingelheimer Lehrer nicht aus ortsansässigen Familien stammten, sondern sich aus dem Umland auf Stellen in Ingelheim beworben hatten, liegt bei den evangelischen Lehrern Jakob Wenzel und Peter Wenzel eine Nachfolge des Sohnes auf den Vater vor, im selben Beruf, am selben Ort, in derselben Schule, und über Peters Mutter, eine geborene Kaibel, ein Abfolge von Lehrern aus vier Generationen von zwei durch Heirat eng miteinander verbundenen Familien.

Sie unterrichteten zusammen 163 Jahre an derselben Stelle.

Vater Jakob Wenzel

Jakob Wenzel (1778-1831) war ein Sohn des aus Stromberg nach Ober-Ingelheim zugewanderten Schneiders Johann Peter Wenzel (1736-1784), der mit seiner Frau Charlotte Sophia Kaibel († Ende oder nach 1783) 9 Kinder hatte. Weil Jakob beide Eltern in jungen Jahren verloren hatte, wurde er in der Familie seiner Mutter bei dem Ober-Ingelheimer Lehrer Johann Andreas Kaibel erzogen, dessen Vater, Johann Adam Kaibel (1699-1761), aus einer reformierten Ober-Ingelheimer Pfarrerfamilie stammte und Praeceptor (Lehrer) in Ober-Ingelheim war.

Seit 1788 war diesem Lehrer Johann Andreas Kaibel von der Kurpfälzer Kirchenverwaltung in Heidelberg sein Sohn Carl Philipp Kaibel (1764-1809) als Gehilfe und Nachfolger zugeordnet worden. Aber dieser starb schon 1809, also noch vor seinem greisen Vater. Deshalb trat der Pflegesohn Jakob Wenzel an seine Stelle.

Am 30. September 1809 wurde er, der Pflegesohn des noch lebenden Lehrers Johann Andreas Kaibel, vom französischen Präfekten des Departements vom Donnersberg, Jeanbon St. André, mit Zustimmung des Bürgermeisters Werner und des Gemeindesrates, zum Lehrer an der reformierten Schule auf dem Kirchplatz in Ober-Ingelheim ernannt.

Vom Maire (Bürgermeister) Werner wurde er ausdrücklich empfohlen, weil

… derselbe von hier gebürtig ist, auch schon seit mehreren Jahren bei dem Alter und Schwäche des zeitherigen Schuhllehrers Herrn Kaibel das Lehramt und die damit verbundene Organistenstelle mit voller Zufriedenheit der Gemeinde besorget, überhaupt jederzeit sich so betragen hat, daß demselben das beste Zeugnis sowohl hinsichtlich seine Fähigkeiten als sonstig Moralische Charactern ertheilet werden muß, übrigens auch von dessen billigen und redlichen Denkungs Art zu erwarten stehet, daß derselbe den noch lebenden 72jährigen alten und ganz entkräfteten Schuhllehrer Kaibel fernerhin unterstützen werde, wovon er schon in mehreren Familien Angelegenheiten beweiße genug gegeben, und es allen als nahen Verwandten es allerdings für Pflicht erkennet, seinem Wohlthäter, dem Er bei dem frühen Verlust seiner Eltern Erziehung und Bildung zu verdanken hat, sich erkenntlich zu erzeigen, weßfals auch ein billiges arangement zwischen beiden rücksichtlich des Gehaltes und Genuß von einigen Schuhlgütern sich anhoffen laßet.

Mit seinem Pflegevater und Onkel Johann Andreas Kaibel regelte Jakob Wenzel am 19. Dezember 1809 noch vertraglich die finanziellen Folgen dieser Amtsübergabe vor dem Bürgermeister Werner und ließ diesen Vertrag vom Präfekten ratifizieren; eine öffentliche Altersversorgung für Lehrer gab es nämlich noch nicht. Schon im folgenden Jahr starb sein Pflegevater Andreas Kaibel.

Jakob Wenzel unterrichtete danach bis zu seinem frühen Tod 1831 (mit nur 53 Jahren) an der reformierten, ab 1822 "evangelischen" Schule bei der Burgkirche. Er stammte noch aus einer Zeit ohne geregelte staatliche Lehrerausbildung, sein Wissen hatte er als Hilfslehrer seines Pflegevaters Johann Andreas Kaibel erworben, also in einer Meister-Lehrling-Situation.

Die französische Absicht von 1813, einen Hochschulstudiengang zur Lehrerausbildung einzurichten, ließ sich wegen der Änderung der politischen Verhältnisse nicht mehr verwirklichen.

Im Jahr 1808 heiratete Jakob Wenzel Anna Elisabeth Schnell und hatte mit ihr gleichfalls neun Kinder.

 

Sohn Peter Wenzel

Werdegang und Anstellung (und die seines Kollegen Johannes Müller)

Eines dieser Kinder, sein Sohn Peter (1812-1892), folgte nun 1832 als Zwanzigjähriger seinem Vater als evangelischer Lehrer nach, vorerst als "Gehülfe". Er erhielt seine Ausbildung nun am Lehrerseminar in Friedberg und legte 1834 seine Prüfung ab (siehe unten). Dann wurde er Lehrer an derselben Schule, an der sein Vater, sein Großonkel und dessen Vater Unterricht gegeben hatten und die er selbst als Schüler besucht hatte.

Im Jahre 1824 ging es um die Einrichtung einer zweiten evangelischen Schule, die infolge der angewachsenen Schülerzahlen notwendig geworden war. Diese Abteilung größerer Kinder bekam als Lehrer nach Mitteilung vom 27. Oktober 1824 der Schulkandidat Johannes Müller aus Bosenheim mit einem Anfangsgehalt von 200 fl. zuzüglich Wohnung. Es wurde in seinem Anstellungsschreiben von ihm u.a. ein "verträgliches, zuvorkommendes Benehmen gegen Ihren Kollegen, den Hrn. Schullehrer Wenzel", erwartet.

Zwölf Jahre später, am 9. Dezember 1836, bewarb sich Peter Wenzel um eine definitive Anstellung. Zuständig war die Bezirksschulcommission des Kreises Bingen, die über den Ober-Ingelheimer Bürgermeister die nötigen Angaben von ihm anforderte.

Sie sind in einer Originalkopie, von ihm selbst in sauberer, schöner Handschrift geschrieben, erhalten:

1. Tauf- und Familiennamen: Peter Wenzel
2. Confession: evangelisch
3. Ort und Zeit der Geburt: Oberingelheim, den 2te September 1812
4. Bildungsanstalt seiner Ausbildung zum Lehrer: Seminar zu Friedberg
5. Seine Prüfungsbehörde: Oberschulrath zu Darmstadt, laut beiliegender Note vom 21. July 1834
(Note = Zeugnis)
6. Sein bisheriges Einkommen: Seitheriges Diensteinkommen mit Einschluß der Casualgefälle (letzere ungefähr 10 fl betragend) 185 fl.

Casualgefälle waren Einnahmen aus kirchlichen Amtsgeschäften wie Taufen, Hochzeiten oder wie bei Peter Wenzel als Vorsänger im evangelischen Gottesdienst in Frei-Weinheim (1857: 16 fl.). Solche Einnahmen brauchten und hatten die meisten Lehrer. Deswegen wurden von ihnen auch musikalische Fähigkeiten in der Prüfung verlangt.


Dass er auch in der Zeit, als er noch keine feste Stelle hatte, einen Konflikt mit Eltern nicht scheute, zeigt sein Bericht an den evangelischen Schulvorstand vom 22. Dezember 1836:

Betreffend das eigenmächtige Abholen aus meinem Schulzimmer des mit Arrest bestraften Georg Pitzer durch seine Mutter.
Der Unterzeichnete sieht sich genöthigt bei einem Einem Wohllöblichen Schulvorstande über die Frau von Philipp Peter Pitzer Beschwerde zu führen, indem dieselbe heute Mittag um 12 Uhr ihren Sohn, welchen ich mit mehreren anderen Schülern wegen Trägheit – laut des Art. 38 und 39 des Großherzoglichen Edikts vom 6ten Juni 1832, das Schulwesen betreffend – mit Arrest bestraft hatte, eigenmächtig unter beleidigenden Ausdrücken gegen mich aus meinem Schulzimmer abholte. Ich halte es meiner Pflicht gemäß, Einen Wohllöblichen Schulvorstand desto eher um Störung und Bestrafung eines solchen Benehmens bitten zu müssen, weil sonst sich derartige Fälle bald öfter wiederholen würden, der Lehrer dadurch die Achtung seiner Schüler verlöre, und demselben die Mittel entnommen wären, die so nöthige Disziplin bei seinen Schülern auszuüben. Eines Wohllöblichen evang: Schulvorstandes gehorsamer P. Wenzel evang: Schulgehülfe.

Der noch junge Schulgehilfe kannte also das seinem Handeln zugrunde liegende Schulrecht (einigermaßen, denn einschlägig war hier nur Art. 38) und kämpfte mutig darum, dass seine Autorität auch von den Eltern anerkannt wurde.

Es dürfte sich bei dieser Arrest-Strafe im Schulzimmer um das zu anderen Zeiten so genannte Nachsitzen gehandelt haben und bei der Trägheit, die auch das Schuledict so nennt, um Arbeitsverweigerung, z. B. um das Nichterledigen von Schul-Aufgaben, alias „Faulheit“.

Anfang 1837 erhielt Peter Wenzel eine feste Stelle und wurde zum zweiten evangelischen Schullehrer (neben seinem oben erwähnten Kollegen Müller) ernannt. Am 11. März 1837 leistete er folgenden Diensteid:

Ich schwöre Treue dem Großherzoge Gehorsam dem Geseze und Beobachtung der Staatsverfassung, und gelobe das mir übertragene Schullehrer Amt mit Eifer und Gewissenhaftigkeit zu verwalten.

Zum Vergleich der heute in Rheinland-Pfalz gültige Diensteid für Landesbeamte:

Ich schwöre Treue dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und der Verfassung für Rheinland-Pfalz, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten (, so wahr mir Gott helfe).


Schulbericht von 1847

Im Archiv der evangelischen Burgkirchengemeinde (ZA 179) sind viele der obligatorischen Rechenschaftsberichte der evangelischen Lehrer Ober-Ingelheims erhalten, darunter auch die von Peter Wenzel aus den Jahren 1845, 1846, 1847, 1855, 1860, 1865 und 1867.

Im Folgenden werden einige Angaben des vierseitigen Schulberichtes von 1847 dargestellt. Peter Wenzel war zum Zeitpunkt der Abfassung dieses Schulberichtes aus dem Jahr vor der Revolution definitiv angestellt seit. Er unterrichtete die mittlere Klasse mit 99 Schülern (60 Knaben und 39 Mädchen - woher dieses Geschlechter-Ungleichgewicht herrührt, ist mir unklar.).

In Teil 1, der Religionslehre, wurde in der
… a) Glaubens- und Sittenlehre unterrichtet: Der zweite Theil des Landeskatechismus der Sittenlehre, bis Frage 188 nebst Bibelstellen auswendig gelernt.
b) In der biblischen Geschichte: Die Geschichten des neuen Testaments wurden erzählt, die Liederverse großentheils auswendig gelernt

Daran fügte Wenzel folgende Anmerkung:
Ein Unwohlsein, von welchem ich heute noch nicht befreit bin, nöthigte mich schon im Februar, die Schule längere Zeit auszusetzen, was Wohllöbliche vorgesetzte Behörde in Beziehung auf die Vorbemerkung (des Lektionsstandes? Gs) berücksichtigen wolle.

Teil 2 bezog sich auf die deutsche Sprache:
a) im Lesen: Der größte Theil liest fertig.
b) in der Rechtschreibung: Ein kleiner Theil schreibt diktierte Aufsätze fehlerlos, andere machen wenige Fehler und die Übrigen haben erst geringere Fertigkeit im Richtigschreiben.
c) in der Kenntniß der Redetheile: Kennen die Glieder des erweiterten Satzes im Allgemeinen.(Grammatik)

Teil 3 Zahlenlehre:
a) im Tafelrechnen: Die 3 Hauptrechnungsarten sind beendigt sowol in benannten, als auch in unbenannten Zahlen.
b) im Kopfrechnen: idm (ebenso) Teil 4 Schönschreiben: Probeblätter beiliegend

Teil 5 Gesang:
Es wurden Choräle einstimmig und eine Anzahl leichte zweistimmige Lieder eingeübt.

Teil 6 Erdkunde:Hier wurde nur bis Europa im Allgemeinen durchgenommen, woran außer in obiger Anmerkung Gesagtem (Krankheit) auch Mangel an Karten schuld war.

Zu Teil 8 Naturgeschichte:
Das Thierreich ist beendigt.

Punkt II. Religiöser und sittlicher Zustand der Schule (d.h. seiner Klasse)
Die Frage, ob unter der Schuljugend religiöser Sinn und Frömmigkeit herrschend sei, beantwortete Wenzel: Im Allgemeinen Ja; jedoch findet man leider auch manche Ausnahmen.

Eingelegt war ein Zettel mit den Angaben zum geübten Liedgut:

a) zweistimmige [Lieder]:
1. Aufmunterung zu Gesang und Freude
2. Die Abendsonne
3. Abendlied
4. Frühlingslied
5. Morgenanfang
6. Vaterlandslied

b) Choräle:
1. Wer nur den lieben Gott lässt walten
2. Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr‘
3. Christus der ist mein Leben
4. O Gott, du frommer Gott
5. Herr, wir singen deine Ehre
6. Ein feste Burg ist unser Gott


Zum Verhalten der beiden Lehrer in den Revolutionsjahren 1848/49

Gewiss im Zusammenhang mit dem Verhalten der Lehrer Müller und Wenzel während der Revolutionszeit 1848/49 wurde Anfang Dezember 1849 dem evangelischen Schulvorstand von Ober-Ingelheim von dem Mitglied der Kreisverwaltung in Bingen, Pfannebecker, Folgendes mitgeteilt (Abschrift):

Es ist verfügt, daß eine Untersuchung der Schulen (d.h. des Unterrichts in ihren Klassen) der evangelischen Lehrer Müller u. Wenzel in O.-Ingelheim statt haben sollen u. ich habe diese künftigen Mittwoch u. Donnerstag den 5. d l M (am 5. Dezember 1849) anberaumt. Indem ich Sie hievon in Kenntniß setze lade ich Sie ein denselben beizuwohnen u. den Lehrern geeignete Mittheilung zu machen. Wir werden am 5ten mit der Schule des Lehrers Müller um 9 Uhr Vormittags beginnen.

Die parallel dazu laufende schriftliche Information der beiden Lehrer über diese Schulvisitation vom 3. Dezember 1849 fügte noch hinzu:

Sie (die beiden Lehrer) wollen dafür besorgt sein, daß an den genannten Tagen die Schönschreibebücher, sowie orthografischen und resp. stylistischen Uebungen der Kinder, nebst einem Verzeichnis der eingeübten Melodien der visitierenden Behörde vorgelegt werden, und gegenwärtigen Erlaß unterschrieben zurücksenden.

Der Erlass selbst, dessen Kenntnisnahme die beiden Lehrer abzeichnen sollten, lag nicht dabei. Die "ernsten Verweise" durch die Ober-Studiendirektion in Darmstadt sind an anderer Stelle  erwähnt.


"Insultierungen" des katholischen Pfarrers Weis

Am 17. Dezember 1849 wandte sich der katholische Pfarrer von Ober-Ingelheim, G. F. Weis, brieflich an den Vorstand der evangelischen Schulen und führte Klage gegen die Insultierungen (Beleidigungen) von Seiten einiger Schulknaben des Herrn Lehrer Müller ihm gegenüber, die immer frecher, teufelhafter würden. Er hatte wegen Glatteies vorschriftsmäßig gestreut und ein böser Bube sei mittags an seiner Wohnung vorbei gelaufen und habe gerufen:

Die da gestreut hat, die solls Unglück bringen [sic!]. Eine Kanonenkugel soll sie treffen.

Und am 18. Dezember seien die Schulknaben
… mit sog. Kleppern truppweise und commandomäßig mit einem solchen Spektakel und einem huronischen Gebrüll vorüber gezogen. Unter denen sich ein gewisser Emrath durch sein freches und sehr rohes Betragen hervorthat, was mich sehr angriff, da ich erst seit zwei Tagen das Krankenbett verlassen habe.

Ob dieses Verhalten der Schüler des evangelischen Lehrers Müller etwas mit der Anzeige des Pfarrers Weis an höchster Stelle in Darmstadt über Missstände im Ober-Ingelheimer Volksschulwesen in der revolutionären Zeit zusammen hing? Schröder zitiert nämlich ein Antwortschreiben des hessischen Ministerpräsidenten Heinrich Karl Jaup an Pfarrer Weis, in dem er auf die Schwierigkeiten einer Strafverfolgung hinwies, da die Schulvorstände häufig Verfehlungen der Lehrer nicht zur Anzeige brächten.

Gefahr von der alten Wehrmauer

Am 17. April 1849 beklagte sich der Lehrer Wenzel in einem Schreiben an den Schulvorstand über die Gefahr, die von dieser Wehrmauer ausgehe, an die seine Wohnung angelehnt sei. Dieses Wehrmauerstück gehörte aber nicht, wie er schreibt, zur Ringmauer des Ortes, die weiter oben am "Nordturm" ansetzt, sondern zur älteren äußeren Kirchenburgmauer:

Die alte Ringmauer, an welche die Schulwohnung anlehnt, zeigt schon seit längerer Zeit grade über dem Schlafzimmer des Unterzeichneten mit seiner Familie Riße und Sprünge, die sich jetzt so vergrößert haben, daß jeden Augenblick der theilweise Einsturz dieser Mauer zu befürchten steht und sonach das Leben von vier Personen stets bedroht ist. Meine Bitte geht daher an einen Löblichen Schulvorstand, derselbe wolle unverzüglich von Bauverständigen die Sache einsehen und die Entfernung der Gefahr bewerkstelligen lassen. Eines löblichen Schulvorstandes gehorsamer P. Wenzel, Lehrer der II. Schule

 

Schießen auf Spatzen?

Wahrscheinlich wollte oder musste Peter Wenzel auch in den Jahren nach 1849 jeden Anschein als bewaffneter Revoluzzer vermeiden. Die daraus resultierende Bitte über den Bürgermeister an das Kreisamt in Bingen vom 1. August 1856 scheint mir allerdings nicht frei von feiner Ironie zu sein. Er habe, so schreibt er

… mit vielen Kosten und großer Mühe in meinem zur Schule gehörigen Garten eine Anlage von Reben gemacht, welche dieses Jahr zum ersten Mal einen reichlichen Ertrag verspricht; ebenso bekannt dürfte es übrigens derselben [Bürgermeisterei] auch sein, daß trotz der stattgehabten Vertilgung, die Spatzen, besonders an den alten Thürmen, alten Mauern p.p., in deren Bereich meine Schulwohnung liegt, sich noch recht zahlreich vorfinden, so daß mir bei dem Reifwerden der Trauben höchstlästiger Zuspruch dieses Ungeziefers bevorsteht.

Deshalb bat er um die Erlaubnis, auf diese Spatzen (wirklich Spatzen?) schießen zu dürfen: daß ich während zweier Monate – vom 10. August bis 10. Oktober – meine Trauben durch manchmaliges Schießen nach diesen frechen, zudringlichen Gästen schützen dürfe.


Unterrichtsvertretung und Stundenplan

Im selben Jahr 1856 musste Peter Wenzel vertretungsweise auch die Abteilung seines Kollegen Müller übernehmen, und zwar für längere Zeit, weil dieser sich die Kniescheibe gebrochen hatte. Er erhielt dafür eine Gratification von 25 fl. aus der Gemeindekasse.

In den 60er Jahren unterrichtete Wenzel eine Knabenschule (= Schülergruppe) mit 95 Knaben vom 9. bis 14. Lebensjahr. Wie er den Unterrcht der 95 Schüler aufteilte, ging aus dem Plan nicht hervor. Nähere Informationen über die Aufteilung nach Geschlechtern waren gleichfalls nicht zu finden. Gefordert wurde eine solche Geschlechtertrennung in den älteren Jahrgängen aber mehrfach.

Der Stundenplan für 1860/61, also nach dem Umbau des Schulhauses neben der Burgkirche, entworfen im Oktober 1860, sah folgendermaßen aus:

a) Sommerhalbjahr:

Stunden Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Samstag
7-8 Katechismus Bibl. Gesch. Kopfrechnen Geschichte Bibl. Gesch. Katechismus
8-9 Wortlehre Tafelrechnen Schönschr. Satzlehre Tafelrechnen Schönschr.
9-10 Lesen Aufsatzlehre Geographie Naturkunde Lesen Gesang
10-11 Religionsstnd ---- ---- ---- ---- ----


b) Winterhalbjahr

Stunden Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag Samstag
8-9 Katechismus Bibl. Gesch. Katechismus Geschichte Bibl. Gesch. Katechismus
9-10 Wortlehre Tafelrechnen Kopfrechnen Wortlehre Tafelrechnen Kopfrechnen
10-11 Rel.d.H.Dekan Satzlehre Formenlehre Rel.d.H.Dekan Satzlehre Lesen
1-2 Aufsatzlehre Naturkunde ---- Aufsatzlehre Naturkunde  
2-3 Geographie Schönschreib. ---- Geographie Lesen  
3-4 Gesang Lesen ---- Gesang Lesen  

"Formenlehre" = Geometrie

Beförderung und Pensionierung

Es dauerte noch bis zum Jahr 1871, bis Peter Wenzel zum ersten Lehrer ernannt wurde, was mit einer Gehaltsaufbesserung verbunden war; pensioniert wurde er 1883 und gestorben ist er am 8. Dezember 1892 mit 80 Jahren.

Peter Wenzel war auch Mitglied der links-liberalen Casino-Gesellschaft in Ober-Ingelheim und zur Benutzung ihres Flügels berechtigt.

 

Sein 50jähriges Dienstjubiläum

Ein Jahr vor seiner Pensionierung war es ihm noch vergönnt, am 24. August 1882 sein 50jähriges Dienstjubiläum zu feiern (wie vier Jahre später auch der Lehrer S. Seib), was heute kein Lehrer mehr erreicht. Aus dem renitenten Lehrer von 1848/49 war ein allseits geschätzter Zeitgenosse geworden.

Der Rheinhessische Beobachter druckte am 23. August 1882 einen Aufruf des Festcomitées, am nächsten Tag ein neunstrophiges Gedicht auf ihn von seinem ehemaligen Schüler Illig in Heidesheim und am Tag nach dem Fest einen längeren Bericht.

Der Aufruf:
"Den Einwohnern von Ober-Ingelheim zur Nachricht, daß das 50jährige Dienstjubiläum des Hrn. Lehrer Wenzel am 24. d. M. gefeiert wird. Zur Vorfeier wird dem Jubilar seitens des Gesangvereins Mittwoch Abend ein Ständchen gebracht. Die Aufstellung des Festzugs geschieht am 24. August, Vormittags 10 ½ Uhr, an dem Schulhause auf dem Plänzer; derselbe bewegt sich von da durch die Altengasse, obere Stiegelgasse, Marktplatz, Kirchgasse zur evangelischen Kirche, woselbst um 11 Uhr Festgottesdienst stattfindet. Nach demselben erfolgen die Gratulationen in der Kirche. Das Festessen nimmt seinen Anfang um 1 Uhr im Gasthaus „zum Lamm“. Abends findet Freiconcert in demselben Locale statt. Die Bewohner derjenigen Straßen, durch welche sich der Zug bewegt, werden gebeten, ihre Häuser mit Fahnen, Kränzen etc. zu schmücken."

Bericht vom 25. August (in Auswahl):
"… An dem imposanten Zuge nach der Kirche beteiligten sich sämtliche Vereine. Die Festrede in der Kirche hielt Herr Pfarrer Ritter, es sprachen außerdem noch Hr. Lehrer Groß im Namen der Collegen des Jubilars, Hr. Dekan Walter im Namen des Gustav-Adolf-Vereins, Hr. Schulinspektor Krämer und Herr Kreisassessor Wolf. Letzerer überreichte die dem Jubilar vom Großherzog verliehene Verdienst-Medaille „für 50jährige treue Dienste“… Der Hr. Jubilar war von all den Beweisen von Liebe und Verehrung sichtlich gerührt. – Einen recht animierten Verlauf nahm sodann das Festessen im Scheuermann’schen Locale … Die Reihe der Toaste eröffnete Hr. Kreisassessor Wolf mit einem Trinkspruch auf Großherzog Ludwig IV. Hierauf toastierte Hr. Pfr. Ritter auf Kaiser Wilhelm, worauf Hr. Pfarrer Kuhn in längerer, oft von lautem Beifall unterbrochener Rede den Jubilar feierte. Ein weiterer Trinkspruch wurden von Hrn. Dekan Walter auf Ober-Ingelheim ausgebracht und diesem folgten Schlag auf Schlag eine wahre Fluth von Toasten, theils ernsten, theils launigen Inhalts … Wenn es noch hätte bewiesen werden müssen, wie sich die ganze hiesige Gemeinde eins fühlt mit ihren Lehrern, der schöne Verlauf dieses Festes, welches erst Abends mit einem Frei-Concert seinen Abschluß fand, hätte diesen Beweis sicherlich gebracht."

Ober-Ingelheim feierte seinen geschätzten Lehrer und zugleich auch sich selbst im Großherzogtum Hessen und im neuen Deutschen Reich. 

 

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Gs, erstmals: 12.02.17; Stand: 24.03.21