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Ingelheimer Armen- und Krankenfürsorge

 

Autor: Hartmut Geißler
nach Saalwächter, Andreas: Die Ingelheimer Armen- und Krankenfürsorge im Mittelalter (BIG 9, S. 93-97)

 

In einem Aufsatz für den Rheinischen Volksboten (Gau-Algesheim) fasste Andreas Saalwächter 1911 seine Forschungsergebnisse zu diesem Thema zusammen. Der Aufsatz wurde erneut in seinem Sammelband BIG 9 von 1958 abgedruckt.

Schon im 14. Jahrhundert ließen sich Armen- und Krankfürsorge in Dokumenten nachweisen, sie seien aber sicher viel älter. Es gab Vermächtnisse, periodische Brotspenden, Schaffung und Ausstattung von Armenhäusern, Gutleute-Häuser (für Aussätzige) und Spitäler.

Ober-Ingelheim bekam 1420 durch Vermächtnis einer wohltätigen Frau ein Armenhaus, und zwar in der Rinderbachstraße in der Nähe des Sankt-Justus-Spitals. Die Stiftung verwaltete ein Rechenmeister im Einvernehmen mit dem Rat.

Zu Großwinterheim war bereits 1388 ein Armenhaus gestiftet worden.

Schlecht durch Dokumente belegt sind die zwei "Gutleute"-Häuser für Aussätzige: eines in Nieder-Ingelheim in der Schafaue (westl. der Max-Planck-Straße am rechten Ufer der Selz) und in Ober-Ingelheim im Felde "vor der Altengasse".


An Spitälern gab es in NI das Heilig-Geist-Spital bei der Remigiuskirche und in OI das St. Justus-Spital im Spitalgässchen (Rinderbach).

Zum Justus-Spital in Ober-Ingelheim

Die mittelalterlichen Spitalbauten wurden regelmäßig in der Nähe des Wassers angelegt. Wir treffen sie an Flüssen und kleinen Wasserläufen. Diesem Gebrauche entspricht die Lage der Ingelheimer Spitäler. Obwohl ganz vom Erdboden verschwunden, finden wir ihren Standort in der Nähe von Quellen, die heute noch Röhrbrunnen speisen. St. Justus zu Ober-Ingelheim lag in der Mitte des Rinderbachs an der Ringgasse, von deren Höhe der „Jakobsbrunnen“ sein Wasser empfängt.

Das auch verschwundene Heiliggeistspital zu Nieder-Ingelheim befand sich bei der katholischen Kirche in der Gegend des Lehrerhauses. (Näheres bei Letzner in BIG 55) Auch hier verrät die frühere Weede und der als „Zehntbrunnen“ benannte Röhrbrunnen am heutigen Eichhause einen alten Wasserlauf. Die Frage nach den Stiftern der beiden Anstalten läßt sich nicht beantworten. Wie so oft hat die Wohltätigkeit begüterter Einwohner dem ersten Bedürfnisse abgeholfen, während die Hilfe der Kirche und der Gemeinden später die Gründung befestigte. Auch die Ingelheimer Zehntherren haben die Spitäler durch Zuwendungen gefördert: die Abtei Hersfeld zu Ober-Ingelheim, das Mainzer St.-Stephanstift zu Nieder-Ingelheim. (Saalwächter, S. 93f.)

Das Nieder-Ingelheimer Spital war in der Mainzer Stiftsfehde 1463 zusammen mit dem Dorf niedergebrannt und erst einige Jahre danach (Saalwächter schätzt zwischen 1472 und 1478) wieder aufgebaut worden. Um den Neubau hätten sich die Spitalmeister (war das schon Sebastian Münsters Vater oder sein Vorgänger?) sehr bemüht, und das für die Baulast zuständige St. Stephansstift in Mainz hat den Bau wohl endlich ermöglicht.

Ihrem Zwecke nach waren die Ingelheimer Spitäler Herbergen und Speiseanstalten für arme Reisende. Sie waren Kranken- und Siechenhäuser für Ortsfremde und solche Eingesessene, deren Mittel zur Selbstverpflegung nicht ausreichten. Die Spitäler waren auch Pfründnerhäuser. Altere oder gebrechliche Personen konnten sich einkaufen und ihren Lebensabend sorgenlos darin beschließen. Endlich waren die Spitäler Entbindungsanstalten für arme Mütter. (Saalwächter, S. 95)

(Ergänzung Geißler: Aber sicherlich nicht für die Mutter von Sebastian Münster, Frau eines wohlhabenden Landwirts, der Spitalmeister war!)

An der Spitze der Spitäler standen die Spitalmeister als Vermögens- und Hausverwalter. Sie wurden von den Gemeinden aus angesehenen Familien gewählt und wahrscheinlich für ihre Tätigkeit entschädigt. Sie besorgten die laufende Verwaltung des Spitalvermögens, die Anlegung von Kapitalien, die Beaufsichtigung und Verköstigung der Hausinsassen. Sie hatten sich um Feldbestellung und Ernte zu bekümmern und mit der Zunahme des Spitalgutes nicht geringe Arbeit. Die Scheuer des Heiliggeistspitals wird im Jahre 1391, sein eigenes Backhaus 1436 genannt. Zu gewissen Rechtsgeschäften, Veräußerungen von Spitalgütern, Verträgen mit Pfründnern, bedurften die Spitalmeister der Zustimmung der Gemeinde. Während zu Ende des 14. Jahrhunderts zwei Personen „als meyster vnd Vormonder“ an der Spitze der Spitalverwaltung amtieren, bemerken wir von der Mitte des 15. Jahrhunderts ab nur einen Spitalmeister. Scheinbar hat man die Verwaltung vereinfacht, in dem man sie in die Hände eines Mannes legte, dessen Persönlichkeit auch ohne die Gegenkontrolle eines zweiten Spitalbeamten die Gewähr für eine gewissenhafte Wirtschaftsführung bot. (Saalwächter, S. 95)

Eine solche angesehene Persönlichkeit muss der Vater von Sebastian Münster gewesen sein, der es sich leisten konnte, seinen Sohn zum Studium nach Heidelberg zu schicken.

Vortreffliche Einrichtungen besaß das begüterte Spital zu Gau-Algesheim, das eine frühe Entwicklung zeigt und mit den beiden Spitälern zu Ingelheim verglichen werden kann. Die Gerichtsbücher nennen es 1437. Durchreisende Arme begaben sich ungemeldet in das Spital, wo ihnen einige Speisen, gewöhnlich eine Suppe, gereicht wurden; blieben auch hier über Nacht. Waren sie aber krank, so durften sie länger bleiben. Sie bekamen alsdann Verpflegung im Hause.

Eine ähnliche Versorgung armer Reisender darf für Sankt Justus und Heiliggeist angenommen werden.

Die innere Verwaltung der Spitäler regelte eine Spitalordnung, die der Spitalmeister handhabte.

Einziehende Pfründner konnten besondere Bedingungen vereinbaren. Nach einem Pfründenvertrag vom 18. Dezember 1426 erhielten die ins Heiliggeistspital zu Nieder-Ingelheim einziehenden kinderlosen Eheleute für ihren Gebrauch lebenslang Stube, Kammer und Brennholz. Sie traten dafür ihr Vermögen an das Spital ab, sicherten sich aber den lebenslänglichen Genuß in Eigenwirtschaft. Das Spital erlaubte ihnen die Aufzucht von Schafen oder Kühen, stellte sogar im Bedarfsfalle das Winterfutter gegen Hergabe des Stalldüngers. Bei Selbstfütterung sollte der Mist den Pfründnern verbleiben. Wurden sie krank oder gerieten sie in Not, dann sollten sie wie sieche Leute unentgeltliche Nahrung und Pflege bekommen. Für die Aufnahme in das Spital entrichteten die Pfründner jährlich 2 Gulden, nach Mone 6 Gulden 34 Kreuzer Rechnungsgeld. Es war dies gewissermaßen eine Anerkennungsgebühr, die mit 25 Gulden ablösbar war. Aus dem Vertrage von 1426 geht hervor, daß derartige Pfründneraufnahmen nicht selten waren. Es wird nämlich von einem Vorgänger der Eheleute in dem Vertrage gesprochen.

An den Spitälern wurde nicht allein für das leibliche, sondern auch für das geistige Wohl gesorgt. Es waren Kapellen vorhanden, die meistens dem heiligen Geist gewidmet waren. So in Nieder-Ingelheim. Das Spital in Ober-Ingelheim war dagegen Sankt Justus, das Spital in Gau-Algesheim aber Sankt Nikolaus gestiftet. Zu Ehren dieser Heiligen enthielten die Kapellen Altäre, an denen Spitalgeistliche Messe lasen. Bereits zu Ende des 14. Jahrhunderts treffen wir derartige Geistliche, ohne daß wir ihre Namen kennen... Häufig stammten die Spitalgeistlichen aus Ingelheim oder seiner Umgebung. Nikolaus Wiener, der von 1428 bis 1458 zu Nieder-Ingelheim als Priester und Altarist des Heiliggeistspitals genannt ist, war ein Ingelheimer Kind. Sein Nachfolger Johannn Duppingießer trägt einen verbreiteten Ingelheimer Familiennamen des 15. Jahrhunderts. Johann Ruß, ein um 1430 tätiger Altarist des St. Justusspitals zu Ober-Ingelheim, stammte von Partenheim. Diese Geistlichen waren aber die berufenen Lehrer für begabte Söhne der Spitalmeister. Bei den wechselseitigen Beziehungen und dem täglichen Verkehr lag es auf der Hand, daß der mit dem Vater befreundete Geistliche den Sohn unterrichtete, womöglich seinen Lebensgang bestimmte. So ist der Altarist Nikolaus Wiener der Sohn von Emmerich Wiener, der 1382 das Spitalmeisteramt bekleidete. Bei dem Spitalmeister Andreas Münster sehen wir Ähnliches. Wenn nicht der Vater, so war er doch ein naher Blutsverwandter des berühmten Geographen Sebastian Münster, der Unterricht und erste Ausbildung zum geistlichen Berufe dem damaligen Spitalgeistlichen zu danken hat. (Saalwächter, S. 95 f).

Wichtige Veränderungen brachte die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts bei Einführung der Reformation in Kurpfalz, nicht minder die Kirchenteilung des Jahres 1705. Um 1565 wurden die Spitalsaltäre entfernt. Das Altaristenhaus des Heiliggeistspitals zu Nieder-Ingelheim wurde damals auf Anordnung des Oppenheimer Landschreibers zu einer Wohnung für den neuen reformierten Lehrer und Hilfsprediger Johann Rosenberger eingerichtet.

Allmählich verloren die Spitäler das Gepräge wohltätiger Anstalten der bürgerlich und kirchlich geeinten Gemeinde. Mehr und mehr bekamen sie konfessionellen Charakter. Bei der Kirchenteilung des Jahres 1705 fiel das Heiliggeistspital zu Nieder-Ingelheim mit der dortigen Pfarrkirche den Katholiken zu, während die Reformierten zu Ober-Ingelheim mit ihrer Kirche auch das St. Justusspital erwarben. Doch hatte die Religionsdeklaration des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz vom 21. November 1705 folgende paritätischen Grundsätze vorgesehen. „In den Spitälern, Waisen- auch andern dergleichen Armen-Häusern so für die Einwohner und Bürger gewidmet sind, wollen wir, daß nach der von uns concedirten Proportion der 2h und 5h Theil, jede Religions-Verwandten (Konfessionsangehörigen; Gs) recipirt, und in ihrer Religion nicht turbiret (gestört; Gs): Bevorab aber die Waisen nach der Religion, deren der Vatter gewesen, erzogen werden. In dem übrigen aber verordnen wir gnädigst, daß ohne Ansehen der Religion die Armen oder Kranken aufgenommen werden und ebenfalls alle Gewissens-Freyheit genießen.“ 

Trotzdem sehen wir die unterlegenen Konfessionen eigene Anstalten einrichten. Topographien aus dem Anfange des 19. Jahrhunderts erwähnen nämlich reformierte und katholische Spitäler zu Ober- und Nieder-Ingelheim. Das reformierte Spital zu Ober-Ingelheim beherbergte arme Reisende, zu deren Unterstützung es Kapitalien besaß. Dagegen unterstützte das dortige katholische Spital, dessen Kapelle noch 1854 vorhanden war, neben den Reisenden auch die Armen des Ortes.

Nieder-Ingelheim besaß neben zwei konfessionellen Spitälern noch eine dritte Anstalt in der kurpfälzischen Mission. General Anton Otto Freiherr von Cloß, dem die Katholiken der Umgegend und die Armen vieles verdanken, hatte sie zur Förderung des katholischen Glaubens im Jahre 1737 für drei Priester und einen Bruder des Jesuitenordens gestiftet. Die Mission, welche über 100 Morgen Land besaß, versorgte auch die Armen. Ihnen wurde ein Kornbrod und 30 Kreuzer gegeben... (Ders., S. 96 f.)

 

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Gs, erstmals: 25.06.16; Stand: 19.12.20