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Nonkonformismus, Resistenz und Widerstand in Ingelheim

 

Autor: Hartmut Geißler
nach Hans Georg Meyer aus: Meyer-Klausing, S. 490-516


Erwachsen aus den Jahren vor 1933, als Kommunisten, Sozialdemokraten, viele Liberale und einige Konservative die Machtübernahme der Nationalsozialisten (vergeblich) zu verhindern versucht hatten, gab es auch während der Naziherrschaft ab 1933 in Ingelheim Personen, die sich als Gegner der Nazis distanziert verhielten und die sogar Widerstand leisteten. Aber es waren nicht viele, denn solche Personen mussten enorme persönliche Risiken auf sich nehmen.

Meyer beschreibt deren Situation in Ingelheim (S. 490 f.):

„Die Gefahr, verhaftet, inhaftiert oder ermordet zu werden, war groß. Die derzeitige Quellenlage lässt den Schluss zu, dass es in Ingelheim in den Jahren von 1933 bis 1945 nur eine Person gab, die nachweislich einer politischen Widerstandsgruppe angehörte: Otto Wedekind, der Vorsitzende der SPD Ober-Ingelheim, war Angehöriger des Widerstandkreises um Wilhelm Leuschner. Er zählte zu jenen „tausend zuverlässige[n] Männer[n]“, die im Main-Neckar-Gebiet zum Netzwerk von Leuschner zu rechnen waren. Zwar galt insbesondere die Sozialdemokratie als ideologischer Gegner des Nationalsozialismus, doch waren längst nicht alle Sozialdemokraten und Gewerkschaftsmitglieder auch im Widerstand.

Neben Persönlichkeiten aus dem Umfeld der Sozialdemokratie waren es vor allem Mitglieder des katholischen Milieus, die mit dem NS-Regime in Konflikt gerieten. Auch in Ingelheim gab es Repräsentanten dieses offensiv gelebten Katholizismus. Es war Wilhelm Fries, Zentrumsmitglied und später Gründungsmitglied der CDU Ingelheim, der immer wieder durch seine Kritik am Nationalsozialismus, seine Kontakte zu jüdischen Familien, vor allem aber seine Verbindung zum katholischen Milieu, ins Visier der Gestapo geriet.

Daneben existierte eine Anzahl an Menschen, die sich aus anderen Motiven heraus nicht mit dem Nationalsozialismus arrangieren konnten oder wollten.

Exemplarisch sollen an dieser Stelle neun Personen vorgestellt werden, die aufgrund unterschiedlichster Formen der Nichtanpassung oder des Protestes von der Gestapo verfolgt wurden:

 

Letztlich kann man wohl auch den Katholiken und Zentrumsmann Wilhelm Fries zu einer Art von "Widerstand" rechnen. Auch er wurde von den Nazis argwöhnisch beobachtet, 1944 zeitweise verhaftet, weil man vermutete, dass er zu Widerstandskreisen gehörte, und verhielt sich durchaus nicht angepasst im Sinne der Nazis.

Bei weiteren Personen fehlt ausreichendes Quellenmaterial, um ihr vermutetes Widerstandsverhalten belegen zu können, so z. B. beim Lehrer Heinrich Nahm aus Ober-Ingelheim, der 1933 möglicherweise an einer Flugblattaktion gegen die Einsetzung des Nazi-Bürgermeisters Ludwig Gaul in Ober-Ingelheim beteiligt war, jedenfalls damals vom Dienst suspendiert und nach Lorsch zwangsversetzt wurde (Dürsch in Meyer-Klausing S. 198).

 

Widerstand und Emigration

Meyer stellt auch das Schicksal zweier Ingelheimer Kommunisten dar, und zwar das von Philipp Dengel und Ernst Eckhard, beide aus Ober-Ingelheim, die der Verfolgung durch die Nazis durch Emigration entgingen und die aus dem Ausland ihren Widerstand fortsetzten.

Während der KPD-Reichstagsabgeordete Dengel schon nach dem Reichstagsbrand ins Ausland flüchtete, und zwar in die Sowjetunion, blieb Eckhard anfangs noch in Ober-Ingelheim, wurde ins KZ Osthofen eingeliefert, von dort aber (versehentlich?) entlassen. Danach floh er in das noch nicht mit dem Reich vereinigte Saargebiet und 1935 weiter nach Frankreich, wo er den Krieg als Mitglied der Résistance überlebte. Sein Versuch, nach dem Krieg mit seiner jüdischen Frau in Ingelheim wieder Fuß zu fassen, scheiterte, so dass er den Rest seines Lebens in Frankreich verbrachte. Bei einem Familienbesuch in Ingelheim starb er und wurde auf dem Ober-Ingelheimer Friedhof im Familiengrab beigesetzt.

Es waren nur diese beiden überzeugten Kommunisten, die in der Nazizeit aus politischen Gründen emigrierten (anders als die aus rassistischen Gründen in die "Emigration" getriebenen jüdischen Ingelheimer!), einerseits um der Verfolgung zu entgehen und andererseits, um aus dem Ausland weiterhin Widerstand gegen das Naziregime auszuüben.

Allerdings weist Meyer am Ende seiner Abhandlung darauf hin, dass über die Definition von "Widerstand" keine Einmütigkeit herrsche. Eine aktive Widerstandsgruppe habe in Ingelheim zwar nicht bestanden, und politischen Widerstand im engeren Sinne hätten eigentlich nur der Sozialdemokrat Otto Wedekind und Ludwig Fleissner (s.o.) ausgeübt. Es gab jedoch andere Personen, die das Naziregime zwar ganz oder teilweise ablehnten, sich einer totalen Integration verweigerten, aber keine Handlungen suchten, um das Regime zu stürzen.

Zu den Seiten über Philipp Dengel und Ernst Eckhard

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Zu dem Sonderfall Hermann Berndes


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Gs, erstmals 18.11.13; Stand: 06.12.20