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Die Konskriptionen, d.h. die Aushebung von Wehrpflichtigen, und deren Verluste


Autor: Hartmut Geißler
nach Steinmetz S. 69, Petry S. 256 f. Schweikhard, S. 89 ff. und Kermann, S. 16 ff.


Das Konskriptionsverfahren, also das Verfahren zur Aushebung neuer Soldaten, im Allgemeinen beschreibt Steinmetz so:

 

Die Anzahl der zu Konskribierenden wurde jährlich durch Dekret veröffentlich - unten ein Plakat von 1807 aus Dumont, Mainz, S. 372 (Mainzer Stadtarchiv).


Die Zahlen wurden im Verhältnis zur Wohnbevölkerung festgesetzt, aus der die zukünftigen Soldaten in einem mehrstufigen, aber völlig gleichen und durchsichtigen Verfahren ermittelt wurden (s. unten).

Für den Kanton Oberingelheim mit damals ca. 13 000 Einwohnern wurden demnach für das Jahr 1807 folgende Zahlen verordnet: 23 Männer, davon 17 für die aktive Armee und 6 für die Reserve.

Für das Jahr 1811 wären dies für den Kanton Oberingelheim (mit 12 449 Einwohnern) von mir errechnete 38 Männer, zwei Drittel (26) für den aktiven Dienst, ein Drittel (12) als Reserve.

Joachim Kermann errechnet folgende Mengen für das Donnersberg-Departement, wobei aber die statistischen Unterlagen lückenhaft bleiben. Für das Jahr 1811 wurden die Zahlen aus dem Bulletin des Lois N.o 348 vom 3. Februar 1811 [in der Tabelle in eckigen Klammern] ergänzt, die mir freundlicherweise Herr Erich Hinkel am 26.01.09 zur Verfügung gestellt hat. Insbesondere für die Kriegsjahre 1812/13 kann Kermann nur grobe Schätzungen anstellen (S. 16)

JahreAktiv-ArmeeReserveTotal
an IX/X=1800-1802300300600
an XI/XII=1802-1804702??
an XIII=1804-1805320??
an XIV=23.9.-31.12.05297??
1806485291776
1807580193773
1808464155619
1809694231925
1810???
[18117033521055]
1812??mehr als 6000


Zum Konskriptionsverfahren:

Zur Durchführung der Konskription mussten die Maires zunächst eine Liste für jede Munizipalität anlegen und in alphabetischer Ordnung die Konskriptionspflichtigen eintragen. Auf gleiche Weise verfuhr der Unterpräfekt, der aus den von den Maires abgegebenen Listen eine neue alphabetische Liste für jeden Kanton bildete, die dann in allen Munizipalitäten ausgehängt wurde. Eventuelle Einwände, Berichtigungen usw. wurden dann vom Unterpräfekten an bestimmten bekannt gegebenen Tagen entgegengenommen und gegebenenfalls in die Liste eingetragen.

Sobald die Untersuchung der Listen beendet war, schritt der Unterpräfekt zur Festsetzung der Reihenfolge, in der die Konskribierten zum Militärdienst gerufen werden sollten. Im Beisein der Konskribierten, der Maires, des Offiziers der Gendarmerie und des Werbungsoffiziers (l'officier de recrutement) wurden so viele Zettel in eine Urne geworfen, wie auf der Liste an Namen standen. Die Zettel waren mit Nummer eins beginnend in der Zählordnung nummeriert. Ein Konskribierter nach dem anderen wurde dann gerufen, um einen Zettel zu ziehen. War der Konskribierte abwesend, so zog für ihn ein Beauftragter oder der Maire seiner Heimatgemeinde. Der Name eines jeden Konskribierten und weitere persönliche Angaben wurden dann in eine neue Liste geschrieben, und zwar folgte jetzt der Eintrag der Namen nicht mehr nach dem Alphabet, sondern in der Nummernfolge, so wie sie von den Konskribierten gezogen worden waren. Gleich danach schritt die genannte Kommission zur Überprüfung der Konskribierten. (Kermann, S. 16/17)

Zu den Ausnahmen wegen körperlichen Gebrechen, aus sozialen Gründen, wegen Heirat oder Substitution durch einen bezahlten Ersatzmann siehe Aufsatz von Kermann!

Eveline Schweikhard berichtet über das Konskriptionsverfahren des Jahres 1805 in Ober-Ingelheim:

Die Listen waren folgendermaßen eingeteilt:
- Familiennamen
- Vor- und Taufnamen
- Beinamen
- Tag der Geburt
- Größe
- Erwerb des Konskribirten
- Persönlicher Aufenthalt des Konskribirten
- Namen und Vornamen des Vaters und der Mutter, mit der Bemerkung, ob sie leben oder gestorben sind
- Wohnort der Eltern, wenn der Konskribirte verheirathet oder majoren erklärt ist, und seinen Wohnort nicht bei ihnen hat
- Bemerkungen

Die Konskribierten wurden meistens erst kurz vor ihrer Einberufung informiert und mußten sich sofort bei ihrer Armeestelle in Mainz melden. Bei Zuwiderhandlungen wurden sie durch Gendarme dorthin geführt.

Johann Hartmann Konscribirte des Jahres 1808 wohnhaft zu Oberingelheim bezeichnet unter Nro. 84 wird sich unfehlbar, und zwar unter der Strafe als Widerspenstiger verurtheilt zu werden, mit den zum Marsche nöthigen Effekten versehen, den 3. Januar 1810 Morgens um acht Uhr vor den Rekrutirungs-Rath nach Mainz begeben, welcher seine Sizzungen in dem Hause zum Goldenen Löwen genannt, halten, und ihm seine weitere Bestimmung bekannt machen wird. (Aufforderung des General-Sekretärs des Präfekten Mainz 1809 an den Konskribierten Johann Hartmann)

In den ersten Jahren der napoleonischen Herrschaft war die militärische Aushebung noch nicht allzu rücksichtslos. Verheiratete waren vom Militärdienst befreit, ebenso der einzige Sohn einer Familie, auch Männer mit körperlichen Schäden, oder solche, die die vorgeschriebene Mindestgröße nicht erreichten, brauchten nicht in die Armee einzutreten. Ein Bespiel: "Mit dem besten Willen, Bürger Prefekt können wir ihrem Befehl nicht nachkommen, weil sich in den zwey Classen die bey gegenwärtiger Aushebung obligat sind, nur drey Conscribirte befinden, und unter diesen dreyen nicht ein einziger ist, welchen man als tauglichen Soldaten bezeichnen könne. Der erste: namens Adam Schaurer ist bey weitem zu klein, um Soldat zu werden; in dem er nur 1 Meter - 446 Millimeter mißt. Der zweyte: Kaspar Windolf, ist ebenfalls zu klein, weil er nur 1 Meter - 590 Millimeter mißt; wiewohl dieser der einzige Sohn seines alten Vaters ist, den er ganz erhalten muß. Der dritte: namens Nikolaus Berlenbach ist abwesend und auf beyliegender Tabelle als Zuschußkonscribirter erklärt, seine Verwandten sagen aus: daß er sich in Cölln, Departement von der Ruhr aufhalte ... In dieser Lage wo wir, wie schon gesagt, mit dem besten Willen nichts machen können, um Ihren Befehl zu befolgen/: indem auch unsere Gemeinde äußerst gering und nur 172 Seelen enthält:/ bitten wir den Bürger Prefekt bei der Conscription in unserer Gemeinde Nachsicht zu zeigen. (Schreiben des Munizipalrates der Gemeinde Frei-Weinheim an den Präfekten des Departements vom Donnersberg, o. J.)

Auch konnten sich Konskribierte durch Stellung eines Ersatzmannes, der dafür bezahlt wurde, vom Militärdienst freikaufen. Diese Möglichkeit wurde den jüdischen Wehrpflichtigen allerdings 1808 wieder genommen.

Petry erzählt einige überlieferte Einzelschicksale und urteilt am Ende:
Schon ehe die Bewohner des linken Rheinufers im September 1802 vollgültige Bürger des französischen Staates geworden waren, nahm der Ackersmann Jakob Glade aus Nieder-Ingelheim an französischen Kriegsexpeditionen nach Ägypten und Amerika teil. Die Feldzüge im Jahrzehnt des napoleonischen Kaisertums (1804 bis 1814) sahen Söhne des Ingelheimer Grundes auf allen nur denkbaren Schauplätzen von Italien über Tirol und Österreich nach Böhmen, über Preußen nach Russland, Schwedisch-Pommern und Holstein, in Holland, Frankreich und auf der Pyrenäenhalbinsel, als Infanteristen, Kürassiere, Husaren, Dragoner, Chasseurs, Pioniere, Artilleristen und Feldkuriere.

Allein von Veteranen, die in Spanien und Portugal gekämpft hatten, lebten 1844 noch 18 als Ackersleute, Taglöhner, Schiffer in Frei-Weinheim, Groß-Winternheim, beiden Ingelheim, Wackernheim, Essenheim und Stadecken, deren Berichte Mit- und Nachwelt mancherlei Anschauung von fernen Ländern vermittelt haben werden.

Wo einmal eingehendere Angaben überliefert sind, bieten sie willkommene Einblicke in die Art, wie in bewegten Jahren Geschichte "von unten" erlebt und mitgestaltet wurde - etwa bei dem Nieder-Ingelheimer Bauernsohn Andreas Hartkopf, den die Mainzer Musterung von 1808 in den Straßburger Standort des 21. französischen Dragoner-Regimentes, nach Augsburg, Tirol und Spanien führte, oder bei dem Stadecker Leineweber Jakob Schneider, der heil aus dem russischen Feldzug zurückkehrte, um in die Drangsale des belagerten Danzig zu geraten und nach dem Zusammenbruch der napoleonischen Herrschaft zuletzt noch mit dem Ehrenkreuz Ludwigs XVIII. ausgezeichnet zu werden.

Gemessen an dem - wohl nie vollständig zu erfassenden Blutzoll, den die napoleonischen Feldzüge von den Deutschen beiderseits des Rheines forderten, mögen die Einbußen an Hab und Gut in den Wechselfällen des Krieges bei den Einwohnern des Ingelheimer Grundes geringfügig erscheinen, aber es wirft doch ein bezeichnendes Licht auf die Überraschungen, welche der Kriegsalltag bringen konnte, wenn wir der Eingabe eines Ober-Ingelheimers vom Winter 1805/06 entnehmen, daß ihm ein für örtliche Beförderungszwecke requirierter Wagen mit Pferdegespann bis auf das Schlachtfeld von Austerlitz entführt wurde. (S. 256-257)


Schätzungen der Verluste:

Gotfried Kneib hat für Zornheim genaue Zahlen der auf dem "FELD DER EHREN" Gefallenen ermitteln können: Von 18 Zornheimern, die seit 1802 eingezogenen wurden, kehrten nur 9 oder 10 zurück (einer ist unklar), d.h. etwa die Hälfte.

Erich Hinkel berichtet im Heimtajahrbuch 2012, S. 165, dass von 39 Ockenheimern, die in der französischen Zeit eingezogen wurden, nur 18 Männer heimkehrten und von den 9 Männern, die für den Russlandfeldzug 1812 eingezogen worden waren, kein einziger.

Ich habe einmal eine Hochrechnung der Ingelheimer Verluste anhand von Quoten aus Neuss, Paris, Zornheim, Oppenheim, Nierstein und Hessen-Nassau versucht (Vom Doppeladler zur Trikolore, BIG 49, S. 44/45) und bin dabei in Größenordnungen gekommen, die zwischen 25% und 60% Verluste unter den Konskribierten liegen. Das würde für die vier damaligen Gemeinden, die heute die Stadt Ingelheim ausmachen, Verluste von 46 bis 111 Mann bedeuten (für Großwinternheim zwischen 7 und 15 Mann, obwohl nur zwei davon auf dem Denkmal stehen).


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Gs, erstmals: 03.11.05; Stand: 02.12.20